Die Träume der Libussa (German Edition)
Krug. Währenddessen drangen männliche Stimmen aus dem
Nebenraum an Libussas Ohr: „Woher sollte ich denn wissen, dass die Kleine, die
regelmäßig zu ihm rennt, ausgerechnet Libussa von den Tschechen ist?“
„Nein, wie
solltest du auch? Wo doch jede Bauernschlampe ein Pferd hat.“
Olgas Söhne.
Neklan und Vojtan. Der Nebel begann sich zu lichten.
„Hier, mein
Mädchen. Nach einem Becher mit gutem Wein fühlst du dich gleich besser“, meinte
Olga unnötig laut, als wolle sie die Unterhaltung im Nebenraum übertönen.
Allmählich erstanden in Libussas Kopf klare Bilder und lösten ein Entsetzen
aus, das stärker war als aller Schmerz. Sie fuhr auf. „Wo ist Premysl?“
Olga reichte
ihr den Wein und Libussa unterdrückte ihren Wunsch, den Becher an die Wand zu
werfen. Zu sehr saß ihr die Erziehung zur Fürstentochter in den Knochen.
„Beantworte
meine Frage, Olga! Was habt ihr mit Premysl gemacht?“
Die
Lemuzi-Fürstin verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln. In ihren Augen meinte
Libussa Unsicherheit zu erkennen. „Er ist in der Küche bei den Knechten und
Mägden. Meine Heilerin hat sich um ihn gekümmert. Er hat schwerere Verwundungen
als du, aber er wird durchkommen.“
Erleichtert
nahm Libussa einen Schluck aus dem Weinbecher. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Seit ihrer frühen Kindheit hatte sie Olga von den Lemuzi gekannt. Eine eitle,
launische Frau, deren Aufmachung meist lächerlich war. Trotzdem nahm Libussa
sie stets vor Thetkas erbarmungslosem Spott in Schutz. Olga schien schwierig,
aber harmlos. Wie kam es, dass sie ihr auf einmal solchen Widerwillen
einflößte?
„Wie konnte das
geschehen, Olga?“, murmelte sie fassungslos.
„Was meinst
du?“ Fürstin Olga rutschte auf ihrem Stuhl herum.
„Diese Männer,
die mich im Wald angegriffen haben, das waren doch die Krieger deiner Söhne?“
Olga nickte und
wirkte sehr bemüht, dabei auf natürliche Weise zu lachen. „Aber ja, Kindchen,
doch sie kannten dich nicht. Du bist sie ganz schön angegangen. Vojmir ist
schwer verwundet. Es war alles ein dummes Missverständnis, deshalb wird es
keine Folgen haben. Auch nicht für diesen Bauern, der auf unsere Männer
eingeprügelt hat. Ich werde ihm vergeben.“
Libussa atmete
tief durch, um nicht zu schreien. „Aber du duldest das Verhalten dieser
Krieger, die eine Frau so einfach überfallen?“
„Krieger sind
eben Krieger, Mädchen. Es war ganz schön dumm von dir, so allein durch den Wald
zu reiten. Man soll bissige Hunde nicht reizen.“
„Krieger“,
wiederholte Libussa Kroks Lehren, „sollten in ihrem Verhalten ein Vorbild für
andere Männer sein. Es würde dem Stammesführer nicht gefallen, was du ihnen
erlaubst. Und auch die anderen Dinge, die du tust, verstoßen gegen die Regeln
unseres Volkes. Du beutest deine Bauern aus, anstatt für sie zu sorgen.“
Olgas Augen
begannen zu funkeln, auch wenn sie weiterhin lächelte. „Vielleicht haben dein
Onkel und ich unterschiedliche Vorstellungen über das Verhalten von
Herrschenden. Oder aber du glaubst zu sehr an schöne Worte und verschließt die
Augen vor der Wirklichkeit. Du bist noch sehr jung, Libussa, und verstehst
nichts vom Regieren. Ich herrsche schon seit vielen Jahren über mein Land und
habe einiges gelernt im Laufe der Zeit.“
„Was hast du
gelernt?“, zischte Libussa. „Wie man anderen das Brot nimmt, um selbst rund und
fett zu werden? Wie man aus seinen Kriegern eine Meute wilder Hunde macht, die
über Schwächere herfallen? Sind das die Zeichen deiner Weisheit?“
Olga seufzte
gequält, als falle es ihr ebenso schwer, die Beherrschung zu wahren. „Ein Fürst
braucht Ansehen in der Welt. Wir gelten bei reicheren Völkern als Barbaren,
weil wir kaum besser aussehen als unsere Bauern. Händler erzählten mir von den
prächtigen Burgen in anderen Ländern, dem teuren Schmuck und der edlen Kleidung
in fürstlichen Familien. Es ist notwendig, dass auch wir endlich anfangen,
etwas darzustellen. Wenn deine Mutter das anders sieht, dann ist das natürlich
ihr Recht. Aber ich habe gute Gründe für mein eigenes Verhalten.“
„Vielleicht
haben die Händler dir auch etwas eingeredet, um mit dir gute Geschäfte zu
machen. Denn weißt du, Olga, alle in Chrasten lachen über deine angeblich so
prächtige Aufmachung. Thetka sagt, du bist wie ein bunt bemaltes Ei.“
Kaum waren
diese Worte ausgesprochen, erschrak Libussa. Sie hatte noch niemals im Leben so
boshaft mit einem anderen Menschen gesprochen. Doch Olga wirkte
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