Die Träume der Libussa (German Edition)
nicht verletzt.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und begann zu reden. Zum ersten Mal lag
keine gekünstelte Fröhlichkeit in ihrer Stimme.
„Ich höre
Premysl aus dir sprechen. Und ich verstehe dich besser, als du glaubst. Auch
als alte Frau erkenne ich einen hübschen jungen Mann, wenn ich ihn sehe. Aber
du solltest nicht vergessen, wer er ist. Ein unzufriedenen Bauer, der seine
Chance zu einem Aufstieg in meinen Diensten selbst weggeworfen hat. Glaube ihm
nicht jedes Wort. Wenn man so jung ist wie du, dann verschenkt man sein Herz
sehr schnell.“
„Und in deinem
Alter hat man vielleicht keines mehr, das man noch verschenken könnte.“
Olgas Gesicht
verfinsterte sich. „Es ist schon gut“, fuhr sie fort. „Ich verstehe, dass du
aufgebracht bist. Aber jetzt lass uns dieses dumme Missverständnis einfach
vergessen. Wir werden uns gemeinsam eine Geschichte ausdenken, wie du zu deinen
Verletzungen gekommen bist, damit deine Mutter nichts von deinem Abenteuer
erfährt. Du weißt, dein Onkel nimmt es sehr ernst mit unseren Traditionen. Es
würde ihm nicht gefallen, dass du einem Mann nachgelaufen bist, anstatt ihn zu
dir kommen zu lassen. Aber er muss ja nichts davon wissen. Wir schweigen einfach
beide, einverstanden?“
Libussa nahm
die unterschwellige Drohung zur Kenntnis.
„Vielleicht“,
begann sie, „wird mein Onkel wütend auf mich sein. Und sogar meine Mutter. Aber
trotzdem müssen sie von dem Benehmen deiner Söhne erfahren. Jemand sollte sie
zurechtweisen. Du selbst tust es offenbar nicht.“
„Aber ich habe
doch schon mit ihnen gesprochen! Es tut ihnen sehr, sehr Leid, was vorgefallen
ist. Sie werden sich persönlich bei dir entschuldigen, wenn du darauf
bestehst.“
Libussa rieb
sich die Schläfen, um das Hämmern in ihrem Kopf zu vertreiben. „Auf so eine
verlogene Entschuldigung kann ich verzichten! Wenn ich zuhause bin, dann rede
ich selbst mit meiner Mutter und Onkel Krok. Aber jetzt will ich zu Premysl.
Ich muss sehen, wie es ihm geht.“
Olga rutschte
auf ihrem Stuhl herum. Als sie zu reden begann, war ihr Blick gesenkt. „Es ist,
wie ich sagte. Er hat schwere Verletzungen, aber meine eigene Heilerin kümmert
sich um ihn. Das täte ich nicht für jeden Bauernjungen.“ Dann schwieg sie einen
Augenblick, als falle es ihr nicht leicht fortzufahren. „Libussa, bevor du dir
überlegst, was du in Chrasten erzählen wirst, solltest du eine Sache nicht
vergessen. Dein Premysl lebt weiter auf meinen Ländereien. Es könnte ihm
vielleicht ein Unglück geschehen.“
„Was meinst du
damit?“
„Nicht
Bestimmtes. Nur, dass der Wald voller Gefahren ist, wie du selbst mitbekommen
hast. Außerdem ist der Junge schwer verletzt. Es kann Wochen dauern, bis er
wieder fest auf den Beinen steht. Dann ist es vielleicht schon zu spät für ihn,
die Ernte einzubringen. Was soll aus seiner Mutter und Schwester werden? Wenn
du mir entgegenkommst und keine bösen Geschichten über mich oder meine Söhne
verbreitest, verspreche ich dir, dass meine Heilerin Premysl gesund pflegen
wird und dass ich auch für seine Familie sorgen werde. Allerdings würde es mir
nicht gefallen, wenn du weiter verkleidet in meinen Ländereien herumschleichst,
verstehst du?“
Libussa
versuchte sich zu erheben und stöhnte dabei auf. Die Wunde an ihrem
Oberschenkel begann wieder zu bluten. Als Olga die Hand nach ihr ausstreckte,
wich sie entsetzt zurück. Die alte Freundin ihrer Mutter schien ihr nun fremd,
als sei sie die ganze Zeit nur ein böser Geist in Menschengestalt gewesen. Die
Begegnung mit Premysl hatte ihre Welt verändert. Oder nur die Art, wie sie
diese Welt sah. „Ich will deine Hilfe nicht“, wies sie Olga von sich. „Sag mir,
wie ich zu Premysl komme. Ich möchte noch einmal mit ihm reden, damit er mich
versteht. Danach reite ich nach Hause. Ich werde schweigen, wie du es wünschst.
Und auch nicht mehr wiederkommen. Auf deine Gesellschaft verzichte ich gern.“
„Nimm
wenigstens ein Kleid von meiner Tochter! Deine Tunika ist zerrissen.“
Libussa
musterte die blutbefleckten Fetzen an ihrem Körper und nahm das Angebot
widerwillig an. Olga rief nach einer Magd, die sogleich mehrere bunt bestickte
Gewänder brachte.
„Nimm das
blaue, es passt zu deinem Haar“, flötete Olga nun, als wollte sie die
Feindseligkeit dadurch überwinden. Wahrscheinlich würde sie als Nächstes
anbieten, noch etwas von ihrem Schmuck zu verleihen. Libussa ging so schnell
wie möglich hinaus, denn Olgas Freundlichkeit
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