Die Träume der Libussa (German Edition)
Seele zu befreien. Kvetas Schauergeschichten über wieder
auferstandene, herumirrende Tote, welche die Lebenden plagten, hatten ihre
Wirkung hinterlassen. War auch der Gottessohn der Christen ein solcher Fall
gewesen, als er seinen Anhängern nach einem qualvollen Tod wieder erschien?
Schließlich
waren die meisten Gäste entweder schlafen gegangen oder an der Tafel
eingenickt. Thetka hatte sich von den Mägden Brot und Schinken bringen lassen.
An Erics Schulter gelehnt verzehrte sie genüsslich ihr Morgenmahl. Libussa
setzte sich an ihre Seite. „Ich danke dir, Schwester. Du hast uns von einer
großen Gefahr befreit.“
Zum ersten Mal
seit Wochen entbehrte Thetkas Blick jeder Feindseligkeit. Sie hatte ihren
Triumph gehabt und schien mit dem Schicksal versöhnt.
„So groß war
sie vielleicht gar nicht", meinte sie schulterzuckend. „Ich glaube, das
mit den Mähren hatte Tyr sich ausgedacht, um uns einzuschüchtern. Er war ein
Fremdling und ein Abenteurer. Eric erzählte mir, seine eigenen Leute hätten ihn
verbannt, weil er immer wieder gegen ihre Gesetze verstieß. Warum hätten die
Mähren einem wie ihm vertrauen sollen?“
„Trotzdem hast
du dein Leben aufs Spiel gesetzt. Sag mir, Thetka, hattest du wirklich keine
Angst, derart mit Tyr zu spielen?“
Ein spöttisches
Grinsen erschien auf den Lippen der Schwester. „Ich will dir einmal etwas
verraten, du gutgläubiges Geschöpf. Ich hatte fürchterliche Angst. Aber ich
verhielt mich wie ein Krieger. Ich unterdrückte sie. Und manchmal, da war die
Gefahr richtig aufregend.“ Sie biss genüsslich in ihr Brot.
„Ich selbst
hätte mich niemals so verhalten können. Es ist gut, dich an meiner Seite zu
wissen.“
Die Freude, die
sie über ihre Versöhnung mit Thetka empfand, musste ihr aus den Augen
gesprochen haben, denn eine Weile wirkte die ältere Schwester verlegen.
„Nun lass gut
sein, Libussa. Du willst wissen, was mit deinem Bauern ist, nicht wahr?
Schließlich habe ich ja gesehen, wie er vor allen Leuten dein Händchen tätschelte.
Ich hätte ihn dafür umarmen können, denn Slavonik blickte drein, als hätte ihm
jemand die Suppe versalzen.“
Sie kicherte.
Libussa saß völlig regungslos. Sie hatte nicht gewagt, gleich zu fragen, denn
Thetka hätte wütend werden können, da ihr das Thema unwichtig erschien. Die
Schwester sie sie viel besser zu kennen als sie angenommen hatte.
„Nun, was ist
mit Premysl?“, flüsterte Libussa.
„Also“, begann
Thetka nach einem kurzen Schweigen, „zunächst sah es ziemlich übel für ihn aus.
In der Nacht, als er zu uns kam, hatte Tyr wieder Suchtrupps losgeschickt. Die
Spürhunde mussten Ludmillas Geruch schließlich gewittert haben, denn Tyrs
Männer drangen in Premysls Hütte ein und stellten dort alles auf den Kopf.
Dummerweise entdeckten sie auch ein Loch im Boden, das groß genug war, ein
Mädchen darin zu verstecken. Dann prügelten sie die alte Frau, doch sie sagte
ihnen nichts. Sie hörten nicht auf, sie zu schlagen, bis sie sich irgendwann
nicht mehr rührte.“
Thetka
verstummte einen Augenblick und wich Libussas Blick aus.
„Die Tochter,
na ja, von der konnten sie natürlich nichts erfahren. Angeblich wollten sie sie
auch nicht töten. Sie versuchte aber wegzulaufen. Dabei stürzte sie unglücklich
und fiel mit dem Kopf auf einen Stein. So hat Eric es mir erzählt. Er beschloss
übrigens in genau dieser Nacht, sich von Tyr abzuwenden, da es ihm der Gewalt
zu viel wurde. Er ist ein netter Junge, das musst du mir glauben.“
Libussa nickte.
Ihr Kopf fühlte sich an wie von Nägeln durchbohrt. Premysls Familie war
wirklich in Gefahr gewesen, während sie geglaubt hatte, er suche nur eine
Entschuldigung, um möglichst schnell wieder abreisen zu können!
„Als Premysl
zurückkam, da warteten sie schon auf ihn“, unterbrach Thetka diese Gedanken.
„Sie schleppten ihn nach Zabrusany. Dort verfuhren sie mit ihm wie mit seiner
Mutter. Auch er verriet ihnen nichts. Es war sein Glück, dass ich selbst bald
in der Festung auftauchte. Ich erwähnte natürlich nicht, dass Ludmilla
inzwischen in Chrasten war. Außerdem deutete ich an, dass du wohl eine
ziemliche Schwäche für diesen Bauernjungen hast. Und da Tyr kein völliger
Dummkopf war, ließ er ihn leben, um so ein Druckmittel gegen dich in der Hand
zu haben. Premysl durfte aber die Festung nicht verlassen, was übrigens ein
Vorteil für mich war. Dein Bauer ist ein schlaues Kerlchen. Er half mir, indem
er mir die Namen jener Krieger verriet,
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