Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
vertraute, für seetüchtig erklärt. Eine Mannschaft zu finden war unmöglich - es sei denn, sie wären bereit gewesen, Kopf und Kragen zu riskieren und Kriminelle anzuheuern. Selbst wenn Barris es zugelassen hätte, die Reisenden waren nicht dazu bereit. Getragen von dem wiedererlangten Gefühl ihrer Bestimmung erklärten sie sich einverstanden, als Mannschaft einzuspringen, und nach vielen Worten und einigen praktischen Demonstrationen hatten sie Barris überzeugt, dass sie genügend Erfahrung besaßen.
Zuerst ging alles gut. Auf südöstlichem Kurs ging es dank kräftiger Winde und problemlosen Segelns gut voran, und unter Barris' vorzüglicher Anleitung gewann die >Mannschaft< an Selbstvertrauen. In den frühen Stunden der vierten Nacht schlug der Kapitän einen südlichen Kurs ein, zog sich in seine Kabine zurück und gab Anweisung, ihn beim Auftreten irgendwelcher Schwierigkeiten zu wecken. Es war die letzte sinnvolle Äußerung, die einer der Reisenden von ihm hörte.
Mit Einbruch der Dämmerung schwenkte der Wind um nach Südwest und legte sich, bis er kaum noch ein leises Säuseln war. Danil, der den Kapitän vertrat, gab sein Bestes, doch das komplizierte Manövrieren wuchs ihm über den Kopf, und sie gerieten in eine fast völlige Flaute. Als sie gingen, um Barris zu holen, lag er bewusstlos in seiner Koje, daneben zwei leere Flaschen. Nichts konnte ihn wecken.
Danach entwickelte sich die Fahrt zu einem Alptraum. Aufgrund ihres begrenzten Navigationsvermögens konnten die Schwalben nicht einmal sicher sein, dass sie sich überhaupt von der Stelle bewegten. Ihr Schicksal glich immer mehr einem wahrhaft üblen Scherz.
Als Barris zwei Tage später zu sich kam, tobte er wie ein Wahnsinniger und wurde gewalttätig, als sie ihm weiteren Alkohol verweigerten. Dann sank er in ein Koma. Als er das nächstemal erwachte, gelang es ihm irgendwie, trotz der Bewachung durch die >Mannschaft< noch eine Flasche aufzutreiben, und er soff sich bewusstlos. Er starb am darauffolgenden Tag.
Die Vorräte begannen ihnen Sorgen zu machen, ganz besonders das Frischwasser. Sie rationierten es, doch das half nur wenig gegen ihre Angst, und als ihre missliche Lage sich verschlimmerte, brach unter den Reisenden zum erstenmal Streit aus. Sie wurden zunehmend verbitterter.
Als endlich Land gesichtet wurde, befanden sich Schiff und Mannschaft in schlechter Verfassung. Der erste Blick auf das gelobte Land verriet kein eindeutiges Lebenszeichen und war nicht das freudige Ereignis, das es hätte sein sollen. Ihre Ankunft war in jeder Hinsicht ein Schiffbruch. Zwar ging niemand verloren, doch die Truppe, die mit ihren paar geretteten Habseligkeiten an Land ging, war unglücklich und entmutigt. Der Südkontinent - wenn sie denn überhaupt dort waren - konnte durchaus unbewohnt sein.
Ihre Abenteuerlust war ihnen weitgehend vergangen.
»Warum hat er das getan?« fragte Gemma später, als sie um ein trostloses Lagerfeuer hockten.
»Keine Ahnung«, meinte Zana.
»Tolle Tipps, die Sie uns gegeben haben«, murrte einer der anderen.
Gemma wollte gerade ihre neue Freundin verteidigen, als diese sie mit einer Handbewegung zum Schweigen brachte. »Lassen Sie sie«, meinte sie matt.
Zum Glück war die Nacht warm und trocken, und mit dem Morgen kam auch neue Kraft und Hoffnung auf. Einige aus der Gruppe hatten seltsame Träume gehabt.
»Hier ist es«, meinte einer. »Ich spüre es. Wir werden doch noch hinfinden.«
»Wenn wir lange genug leben«, kam die säuerliche Antwort.
Sie erklommen die niedrigen Klippen, die den Kiesstrand säumten, ohne größere Schwierigkeiten und machten sich auf den Weg ins Landesinnere. Sie kamen nur langsam vorwärts, doch bald darauf stieg ihre Stimmung, als sie auf eine Spur stießen, die parallel zur Küste verlief.
»Welche Richtung?« fragte Danil und sprach damit die Frage aus, die sie alle in den Köpfen hatten. »Nach Osten oder nach Westen?«
Sie entschieden sich für Osten und liefen geradewegs in eine Falle.
6 . KAPITEL
Die blauen Flammen waren die erste Warnung.
Den größten Teil des Vormittags hatten sich die Schwalben, die alle widerstrebenden Empfindungen erlegen waren, mühsam dahingeschleppt. Die Sanddünen oder Felsen auf der einen Seite des Weges und die sanft geschwungenen Hügel der Steppe zogen unverändert vorüber - unberührt von Menschenhand. Nur die Straße selbst gab ihnen Hoffnung. Nach der ersten Stunde waren sie vom Fehlen jeglicher Spuren von Besiedelung so
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