Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
tanzen«, lachte Arden. »Außerdem ist ihr Mann viel größer als ich.«
»Und die anderen?«
»Fletcher ist tot«, sagte Arden, und sein Gesicht bewölkte sich. »Er ist hundertneunzehn Jahre alt geworden.«
»Ich dachte, nur Zauberer würden so alt«, meinte Gemma nachdenklich. »Ferragamo war zweihundertfünfzig.«
Arden sah sie geduldig-leidend an.
»Doch, das stimmt!« wehrte sie sich. »Aber ich habe niemanden sonst kennengelernt, der so alt geworden wäre.«
»Fletcher würde vielleicht noch leben, wenn der Fluss nicht gewesen wäre«, erwiderte Arden. »Es hat nicht nur an der Missernte gelegen. Er konnte einfach nicht glauben, dass der Fluss sie im Stich gelassen hatte. Der Schock war zuviel für ihn.«
»Ist er tatsächlich nur jedes zweite Jahr geflossen?«
»Ja.«
»Und wie kam das?« fragte Gemma verwirrt.
»Das weiß niemand. Es war einfach so«, antwortete Arden. Sein Ton verriet, dass das Warum und Weshalb keine Rolle spielte.
»Und jetzt ist er ganz fortgeblieben?«
»Zweimal«, sagte er düster. »Das erstemal vor zwei Jahren. Das war, als Fletcher starb. Sie konnten es einfach nicht glauben und warteten und warteten auf das erste Rinnsal. Es kam jedoch nie, und als sie merkten, dass er überhaupt nicht fließen würde, war es zu spät, Wasservorräte anzulegen.« Arden unterbrach sich und schluckte, als wäre seine Kehle trocken. »Letztes Jahr hofften sie dann, dass er kommen würde, doch das war ohnehin ein trockenes Jahr. Dieses Frühjahr war der entscheidende Test.«
»Und er ist wieder nicht gekommen?«
Arden nickte. »Die Zeit für Schmelzwasser ist längst vorbei«, erklärte er. »Der Fluss müsste jetzt schon kräftig fließen, statt dessen ist er staubtrocken.« Er runzelte die Stirn, als er an den Gesichtsausdruck seiner Freunde dachte, der von verzweifelter Hoffnung in schiere Verzweiflung umgeschlagen war. Sein letzter Besuch im Tal war nicht sehr freudvoll gewesen.
»Vier Jahre ohne Wasser«, sagte Gemma leise, entsetzt.
»Sie haben getan, was sie konnten, um das bisschen Regen aufzufangen, das sie bekommen«, fuhr Arden dort. »Sie sind sogar hinauf in die Berge gezogen, um zu sehen, ob es irgendwelche Gebirgsbäche gäbe, die man hätte umleiten können, aber all das hat wenig gebracht. Die Vegetation stirbt ab, es hat Missernten gegeben, sogar einige der Bäume befinden sich in schlechtem Zustand. Der Boden trocknet aus und wird an manchen Stellen fortgeweht. Selbst wenn sie jetzt Wasser bekämen, würde es sehr lange dauern, bis sie sich erholt hätten.« Unter die Traurigkeit in seiner Stimme mischte sich Wut. »Wieso zerstört diese Welt alles wirklich Schöne?« fragte er plötzlich. »Warum?«
Gemma fand keine tröstenden Worte für ihn. Sie wusste, dass er mehr meinte als nur das Tal. Als Arden weitersprach, klang seine Stimme ruhig. Er vermied bewusst jegliches Gefühl.
»Zur Zeit verhungern sie noch nicht, doch das wird nicht mehr lange dauern. Aber alles andere geht schon zu Bruch. Viele von den Alten sind gestorben, und ihre Immunität vor Krankheit lässt nach. Lebensmittel sind so knapp, dass einige sogar das Tal verlassen haben. Sie werden es nicht mehr lange überleben.« Seine Stimme bekam einen seltsamen Unterton.
Er wäre auch so geworden, wenn er geblieben wäre, vermutete Gemma. Gefangen. Unfähig zu gehen.
»Sie haben sogar einige der Tiere schlachten müssen«, fuhr Arden fort. »Sie können es sich nicht mehr leisten, sie durchzufüttern. Einige haben sogar versucht, das Fleisch zu essen, aber es hat sie bloß krank gemacht. Sie haben es auch mit wilden Tieren versucht, aber das war dasselbe, daher sind sie von der Idee wieder abgekommen.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Sogar ihre besonderen Gaben lassen nach.«
»Was für Gaben?« fragte Gemma, obwohl sie schon eine Ahnung hatte.
»Sie wussten bestimmte Dinge«, erklärte Arden. »Einer von ihnen sah etwas, und kurz darauf konnte jeder aus dem Tal es beschreiben, obwohl der ursprüngliche Zeuge zu niemandem darüber gesprochen hatte.«
»Gedankenübertragung?« fragte Gemma nach.
Arden sah sie verdutzt an.
»Stille Gespräche im Kopf«, erklärte sie. »Wie Zauberer mit ihren Vertrauten.«
»Nein«, antwortete er wütend. »Das war es nicht.« Sein Gesicht erstarrte zu einer Grimasse, die ebenso deutlich wie Worte zu sagen schien: Was für einen Unsinn du redest!
Gemma war sprachlos. Er erwartet, dass ich Kris und seine besondere Gabe glaube, ist aber nicht bereit, die Magie
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