Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
Punkt, an dem eine Umkehr noch möglich wäre, längst überschritten.«
»Ihr seid ja verrückt!«
Mendle lachte. »Das sagt man von allen großen Erneuerern«, behauptete er. »Das ändert überhaupt nichts. Deine Rolle steht in jenem Buch - meine übrigens auch -, das vor langer Zeit geschrieben wurde. Du kannst jetzt nichts mehr ändern. Sogar dein anfänglicher Unglaube wird vorhergesagt.«
Die Zuversicht, mit der er sprach, machte Gemma Angst. Hat er vielleicht recht? Bin ich nur ein hilfloses Werkzeug in seiner Hand? Nein! Eher würde ich mich umbringen! Ihre Hand fuhr zum Messer an ihrem Gürtel, doch dann zögerte sie. Sie konnte nicht glauben, dass dies der allerletzte Ausweg war. Trotzdem zückte sie die Klinge. Ihre Härte hatte etwas Tröstliches.
»Müsstet Ihr nicht Angst vor mir haben?« nahm sie ihren ganzen Mut. zusammen. »Schließlich habe ich Euch schon einmal verbrannt. Was sollte mich daran hindern, Euch dieses Mal zu töten?« Sie ging ein paar Schritte nach vorn, doch Mendle rührte sich nicht aus seiner entspannten Haltung.
»Ich bin enttäuscht«, meinte er dazu. »Ich hatte dir mehr Intelligenz zugetraut.«
Gemma wartete, dann zwang sie sich, weiterzugehen.
»Ich habe keinen Grund, Angst vor dir zu haben«, fuhr Mendle fort. »Mein Gesicht ist nicht das einzige, das sich verändert hat, und dies hier ist mein Reich. Hier kannst du gegen meinen Willen gar nichts tun.«
In diesem Augenblick stürzte sie sich auf ihn - Panik hatte ihren Verstand ergriffen doch Mendle hob eine Hand, und plötzlich wurden ihre Beine bleischwer. Eine entsetzliche Angst überkam sie, als sie merkte, dass sie wieder zu einer Marionette geworden war, deren Fäden er in der Hand hielt. Sie blieb wie angewurzelt stehen, und ihr Verstand war in Aufruhr.
Eher bringe ich mich um.
Sie hob die Klingenspitze, drückte sie seitlich gegen ihren Hals und flehte um die Kraft, dieser ekelhaften Farce ein Ende zu bereiten. Mendle versuchte nicht einmal, sie aufzuhalten, sondern kehrte ihr bloß den Rücken zu. Seine vollkommene Verachtung für das, was sie tat, war offenkundig, und nach ein paar Augenblicken glitt Gemma das Messer aus den tauben Fingern und fiel klirrend auf den Marmorboden.
»Komm her.« Der Plauderton war aus seiner Stimme gewichen. Es war ein Befehl.
In Gemmas Beine kam wieder etwas Leben, und sie schließlich stellte sie sich neben ihn. Sie starrte auf die offenen Seiten des Buches, doch die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Sie wollte nicht wissen, was dort geschrieben stand.
»Lies!«
Gemma gehorchte.
»>Die Rückkehr des Bringers der Zerstörung nach Apex City und sein Aufstieg zu allerhöchster Macht war das Zeichen, das den Beginn der Veränderung markierte. Auch wenn die Taten seiner Verbündeten nichts weiter als eine Orgie aus Blutvergießen zur Folge hatten, so gelang es ihm dennoch, eine sichere, unüberwindbare Festung aus Stahl zu erbauen. Von dort aus übte er die absolute Herrschaft über die Stadt und die ihr zugehörigen Gebiete aus und setzte jene Experimente und Geschehnisse in Gang, die in die neue Zeit führen sollten.
Nur eine Macht wäre imstande gewesen, sein Fortschreiten aufzuhalten, doch weil sie dumm waren und an überkommenen Idealen festhielten, wurden die Diener der Erde besiegt. Ihr Ende war besiegelt, als der Schlüssel zum Traum in der Stählernen Festung begraben wurde, dessen Macht nicht nur dazu benutzt wurde, um seine ehemaligen Verbündeten zu vernichten, sondern auch die letzten Überreste der Magie selbst.
Dies war erst der Anfang, doch danach war der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten, und die alte Ordnung wurde völlig zerstört.
Das Zeitalter des Chaos begann.<«
Gemma konnte nicht länger so tun, als hätten die Worte keine Bedeutung.
»Das ist doch bloß ein Buch - es beweist überhaupt nichts«, protestierte sie lahm. Ihre fehlende Überzeugung war nur zu offenkundig. Mendle ging nicht auf die Worte ein.
»Die Titelbezeichnungen sind natürlich recht phantasievoll«, bemerkte er leichthin, »meine allerdings gefällt mir recht gut. >Der Bringer der Zerstörung.<«
»Nur weil etwas weisgesagt wird, heißt das noch lange nicht, dass es auch eintritt!« stieß Gemma verzweifelt hervor.
Mendle drehte sich um und sah sie an. Hinter der Maske, wo sich früher die Augen befunden hatten, blinkte die Macht der Bosheit.
»Aber dies ist keine Weissagung«, entgegnete er amüsiert. »Das ist Geschichte.«
»Unmöglich!« gab sie zurück. Dabei
Weitere Kostenlose Bücher