Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
schlüpfte.
»Und jetzt ist er wahrscheinlich tot«, fuhr Gemma tonlos fort. »Es wäre besser gewesen, wenn er mich in der Wüste hätte sterben lassen.«
»Sag so etwas nicht ...«, begann Hewe, doch Ashlin unterbrach ihn.
»Ich glaube nicht, dass er tot ist.« Seine Stimme war eine seltsame Mischung aus Hoffnung, Erregtheit und Ungewissheit. Als Gemma ihn ansah, war zum erstenmal ein Funken Leben in ihren Augen, und Ashlin senkte den Kopf, als wollte er nur ungern weitersprechen.
»Wieso nicht?« wollte Gemma wissen.
»Was ... wir vorhin gesehen haben ... das war er doch, oder?« fragte er.
»Natürlich war er es!« Gemma traten wieder die Tränen in den Augen. »Ich würde ihn überall erkennen.«
»Mit allen Einzelheiten?« beharrte Ashlin, trotz der warnenden Blicke, die Hewe ihm zuwarf.
»Ja. Sein Haar war durcheinander, und er hinkte, aber ansonsten war er wie immer«, antwortete sie.
»Worauf willst du hinaus?« fragte Hewe scharf. Er verstand nicht, wieso Ashlin einen Gedanken so hartnäckig verfolgte, der Gemma so offensichtlich quälte.
»Elementale können jede beliebige Gestalt annehmen, richtig?« fuhr der junge Mann mittlerweile sicherer fort.
»Ja, aber ...«
»Erfinden sie die Gestalten, oder kopieren sie sie?« fragte Ashlin. Er hielt inne, um den Gedanken wirken zu lassen, dann fuhr er fort: »Die Elementalen können unmöglich eine derart naturgetreue Nachbildung geschaffen haben, ohne Arden gesehen zu haben. Und zwar den echten Arden.«
»Meinst du wirklich?« rief Gemma, die plötzlich neue Hoffnung schöpfte.
»Sein Haar dürfte gewachsen sein, seit du ihn das letzte Mal gesehen hast, und es ist durchaus möglich, dass er sich am Bein verletzt hat«, erwiderte Ashlin und sonnte sich in der Wärme ihres frisch erwachten Interesses.
»Vielleicht ist er sogar ganz in unserer Nähe!« platzte Gemma heraus.
Hewe war besorgt. Sie klammerte sich an Ashlins Theorie, betrachtete sie bereits als wahr. Er wollte ihrer Begeisterung zwar nur äußerst ungern einen Dämpfer verpassen, aber sie mussten auch realistisch bleiben.
»Hier kann er sich nirgendwo aufhalten«, erklärte er Gemma. »Außerdem weißt du, wie schnell die Elementalen sich bewegen. Er könnte von weit her gekommen sein.«
Gemma warf ihm einen verärgerten Blick zu, musste aber zugeben, dass sein Einwand berechtigt war.
»Du hast recht«, gestand sie, auch wenn die beiden Männer merkten, dass sie ihre Hoffnung nicht völlig aufgeben wollte. Hewe wappnete sich und fuhr fort.
»Ganz recht, die Elementalen kopieren Körperformen«, sagte er, »doch es hätte auch Arden an irgendeinem Punkt der Vergangenheit sein können.«
Gemmas Gesicht erschlaffte.
»Ich hoffe, dass du recht hast, Ashlin«, sagte Hewe. »Es ist durchaus möglich, dass es stimmt. Aber du musst die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es eine Täuschung war und sonst nichts.« Zufrieden stellte er fest, dass Gemma seine Worte zu akzeptieren schien, ohne wieder in jenen Schockzustand zu verfallen.
Auch Ashlin gewann seine Fassung zurück, und er war es auch, der schließlich das Schweigen brach. »Was hat er zu dir gesagt?«
»>Das sind keine Dämonen«< zitierte Gemma. »Was immer das bedeutet.«
»Könnte es vielleicht eine Nachricht sein?«
»Wenn, dann verstehe ich sie nicht.«
»Wie sehen Dämonen aus?« fragte Ashlin.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie.
»Wollen wir hoffen, dass wir es nie erfahren«, meinte Hewe.
Der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfälle. Nach drei weiteren Tagesritten erreichten sie die Umgebung von Great Newport, das noch immer so aussah, wie Gemma es in Erinnerung hatte. Die hohen, grauen Mauern waren stellenweise fleckig und umgeben von dem hoffnungslosen Elend derer, die zu arm waren, um sich Zutritt zu verschaffen. Aus der Ferne konnten sie keine Spur des neuen Turms entdecken, den der Oberlord errichten ließ, allerdings hing eine Dunstglocke über der Stadt wie ein graues Leichentuch.
Sie hatten die Küstenstraße mehrere Meilen zuvor verlassen und waren in der Hoffnung querfeldein geritten, den Soldaten der Gilde aus dem Weg zu gehen, die - gegen ein Entgelt - Reisende durch die gefährliche Barrackensiedlung hindurch in die sichere Stadt führten. Aus früherer Erfahrung wusste Gemma, dass noch mehr Geld den Besitzer wechseln musste, bevor irgendjemand in die Stadt der tausend Laster hineingelassen wurde.
»Wir warten hier, bis es dunkel ist«, sagte Hewe. »Dann ist es viel sicherer, in die Stadt zu
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