Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
die Ohren. »Es macht einen verrückt. Ich hatte vergessen, wie stark ...«
»Du hast es schon einmal überwunden«, sagte Hewe ruhig. »Außerdem sind wir hier und können dir helfen.«
»Ich habe es nicht überwunden«, erwiderte Gemma mit aufgerissenen Augen. »Nur seinen Sieg hinausgezögert.«
»Du hast den Drachen von dem Gesang fortgelenkt«, erinnerte Ashlin sie.
»Aber nur, weil ich zu dem Stein musste. Das war zu wichtig, um es aufzugeben«, erklärte Gemma.
»Deine jetzige Aufgabe ist genauso wichtig«, sagte Hewe. »Wir brauchen dich, Gemma.«
Als sie ihn anblickte, sah er die Qual und das Unverständnis in ihren sanften, grauen Augen.
»Arden hat mir erklärt, es sei bloß das Geräusch des Windes in den unterirdischen Höhlen«, sagte Gemma, als versuchte sie, sich selbst zu überzeugen.
»Es bedeutet für jeden etwas anderes«, hielt Hewe dagegen, »aber wenn du dem Gesang jetzt folgst, wirst du sterben.«
»Kämpfe dagegen an, Gemma«, versuchte Ashlin, ihr Mut zu machen, doch dann zog sich sein Gesicht plötzlich vor Schmerzen zusammen, und er begann zu husten.
»Das tue ich doch«, erwiderte sie.
»Gutes Mädchen«, sagte Hewe. »Nützt es etwas, wenn wir mit dir sprechen?«
Gemma nickte. Sie setzten sich, und Hewe begann, ihr von all seinen früheren Reisen zu erzählen, forderte sie gelegentlich auf, selber etwas zu erzählen, und versuchte, sie abzulenken. Sie sprachen über ihren Besuch bei Adria, und Gemma bemühte sich, das Gefühl entspannter Kraft wiederherzustellen, das sie bei ihr empfunden hatte. Es half ein wenig. Das Feuer brannte unbeachtet nieder, bis nur noch ein paar rote Glutreste in der Dunkelheit leuchteten. Hewe hatte seinen Arm um Gemmas Schultern gelegt, um ihr Kraft und Trost zu spenden. Beim Sprechen steckten sie die Köpfe zusammen, so dass sie Ashlin nicht bemerkten, der sich mit brennenden Lungen hustend am Boden krümmte.
Schließlich, mitten in der Nacht, spürte Hewe plötzlich, wie Gemmas Körper sich entspannte und sie sich erleichtert zurücklehnte.
»Es hat aufgehört«, flüsterte sie mit heiserer Stimme. Augenblicke später war sie eingeschlafen. Hewe deckte sie mit einer Decke zu, warf einen Blick hinüber zu Ashlin, der ebenfalls zu schlafen schien, dann sah er nach den Pferden. Als er sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, schichtete er das Feuer wieder auf und machte sich bereit, den Rest der Nacht Wache zu halten. Er durfte nicht riskieren, dass Gemma sich davonschlich, während er schlief.
Es war ein trauriges Gespann, das am nächsten Morgen aufbrach. Gemma war von ihrem nächtlichen Kampf mitgenommen, Hewe hatte überhaupt kein Auge zugemacht, und Ashlin war schweigsam und sah blass aus. Er war schließlich eingeschlafen, doch der Schmerz in seiner Brust brannte noch immer. Aber er sprach nicht davon, und die anderen nahmen an, er sei bloß ebenso müde wie sie selbst.
Sie ritten weiter, langsamer jetzt wegen des raueren Geländes und ihrer Müdigkeit. Es wurde immer heißer, und kurz nach Mittag ließ Hewe haltmachen.
»Wenn ich mich nicht bald ein wenig ausruhe, falle ich vom Pferd«, meinte er. »Und die Pferde werden es uns auch nicht danken, wenn wir in dieser Hitze weiterreiten.«
Unter einem Felsüberhang fanden sie ein wenig Schatten, und bald war Hewe eingeschlafen. Die anderen verfielen in einen unruhigen Halbschlaf - Ashlin fand in Gemmas Nähe etwas Trost. Sein Husten hatte aufgehört, und der Schmerz ließ allmählich nach. Die Vorstellung, allein ins Tal zurückkehren zu müssen, machte ihm Angst, und er hoffte, dass das Brennen in seiner Brust bald nachließ.
Nachdem sie zwei Stunden gerastet hatten, weckten sie Hewe und ritten weiter. Jetzt hatten sie die Straße schon seit anderthalb Tagen für sich alleine. Daher überraschte es sie, als sie ein Stück weiter vorne einen Mann entdeckten, der ihnen entgegenkam.
»Was tut der hier draußen, alleine und zu Fuß?« wunderte sich Hewe laut, doch Gemma hörte ihn nicht. Die einsame Gestalt kam ihr plötzlich bekannt vor. Sie gab Mischa die Sporen, galoppierte davon und ließ ihre Gefährten zurück, die sich verblüfft anstarrten, bevor sie ihr hastig nachritten.
Beim Näherkommen wurde sie sich immer sicherer, wer der einsame Wanderer war, und ihr Herz machte vor Freude einen Sprung, während ihr Ross den sandigen Weg entlangsprang.
»Arden!« schrie sie und hätte gerne gewunken, wagte jedoch nicht, eine Hand von den Zügeln zu lösen. »Arden!«
Er war es
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