Die träumende Welt 03 - Das Zeitalter des Chaos
vertrauten Umgang mit seiner dunklen Welt. Er spürte sie jetzt, sie ruhten sich aus - die düstere Vorahnung ihres Herrn hatte sie noch nicht aufgescheucht.
Spürt ihr nichts Seltsames? fragte er sie, ohne sich große Hoffnungen zu machen.
Bewegung. Zeichen. Von weit her, lautete ihre verhallende Antwort.
Cai wollte sie gerade fragen, was sie damit meinten, als plötzlich im angrenzenden Zimmer ein Tumult losbrach. Erst waren zusammenhanglose Schreie von Wray zu hören, dann bat sich Hewe wütend Ruhe und Frieden aus. Es folgten die Geräusche eines Kampfes, Laute wie die eines Tieres und schließlich das dumpfe Krachen eines Körpers, der auf dem Boden aufschlug.
»Ich gehe nachsehen, was los ist«, meinte Zana rasch. Sie stand auf und raffte das Gewand um ihren Körper. Als sie auf den Flur eilte, begegnete sie Hewe, der gerade aus einem Zimmer kam.
»Ich wusste, dass es ein Fehler war, mein Zimmer mit diesem tobenden Verrückten zu teilen«, meinte er mit finsterer Miene. »Jetzt ist er völlig durchgedreht. Ich schwöre, so wie er mit den Armen herumgefuchtelt und gequakt hat, könnte man meinen, er wollte fliegen.«
»Was ist passiert?«
»Ich habe keine Ahnung. Eben noch schlief ich friedlich, im nächsten Augenblick sprang er schon wie toll herum und kreischte, als wollte er die Toten wecken. Ich bat ihn aufzuhören, und zwar höflich, aber das tat er nicht, also musste ich meine Bitte etwas drastischer formulieren«, schloss er, sich die Knöchel reibend.
Zana ging an ihm vorbei in sein Zimmer. Wray lag auf den Dielenbrettern, alle viere von sich gestreckt.
»Ist er verletzt?« fragte sie atemlos.
»Ach, er wird's überleben«, gab Hewe fast bedauernd zurück. »Aber möglicherweise wird er eine Weile Kopfschmerzen haben. Alles in Ordnung mit Cai?«
»Ja«, antwortete sie und kniete neben dem bewusstlosen Wray nieder. »Aber er fühlt, dass heute noch etwas Schlimmes geschehen könnte.«
»Da ist er nicht der einzige«, stellte Hewe fest.
Weit im Süden war die Versammlung komplett. Sie hatten in dichten Reihen Aufstellung genommen und warteten bewegungslos in der bitteren Kälte. Jedes der metallenen Gesichter blickte nach Westen, hinaus über die Kette des Kalura-Gebirges, als die eben aufgegangene Sonne die schneebedeckten Gipfel beschien. Sie blickten von ihrem Aussichtspunkt auf der Bergflanke westwärts und hatten in der Ferne den höchsten Gipfel vor sich - Dar Emberoth -, in dessen Herz, so hieß es in den Legenden, der größte Juwel auf der ganzen Welt ruhte, ein Schatz von unschätzbarem Wert, der jede Vorstellung übertraf. Doch die Gehirne hinter den metallenen Masken beschäftigten sich nicht mit Legenden, fragten sich nicht, weshalb sie hier ausharrten. Sie stellten keine Fragen. Der Große Führer würde es ihnen beizeiten erklären. Dies war die zentrale Gewissheit ihres wohlgeordneten Lebens.
Und nun rollte seine tiefe, erhabene Stimme über die Menge hinweg, die mit Leichtigkeit jeden der hier Angetretenen erreichte. Es war die Stimme ihres Gottes.
»Man hat euch hierhergerufen, damit ihr Zeugen jener Kraft, jener Stärke werdet, die mich befähigen wird, auch weiterhin zu siegen. Ich bin unbesiegbar, einzigartig und allmächtig.« Es entstand eine kurze Pause, bevor der unsichtbare Sprecher fortfuhr, doch seine Zuhörer verharrten reglos, ohne zu murren. »Ihr seid hier, damit euer Glaube bekräftigt wird. Glaube kann Berge versetzen. Seht her!«
Es begann als fernes Grollen. Dann plötzlich entstand ein ungeheurer Lichtblitz, der die Sonne hinter ihm zu einer schwachen Kerze degradierte. Die optischen Sensoren in den Masken der Zuhörer reagierten augenblicklich, schützten deren Augenlicht vor dem hellen Schein und ermöglichten es ihnen, zu verfolgen, wie der Blitz an Größe und Intensität zunahm. Dann war das Feuer erloschen, und an seine Stelle trat eine gewaltige Quellwolke, die in die Höhe schoss und den halben westlichen Himmel auszufüllen schien. Graubraune Streifen erstreckten sich in den Himmel - gleich einem monströsen Baum, dessen Wurzeln bis zum Mittelpunkt der Erde reichten.
Den Versammelten stockte vor Verblüffung der Atem; die Erhabenheit des Schauspiels hatte ihnen ehrfürchtige Scheu eingeflößt. Dann erreichte sie die Schallwelle. Es war ein tiefes Donnergrollen, das immer weiter anschwoll - als wollte es alle anderen Geräusche der Welt übertönen.
Als der Donner sich schließlich gelegt hatte, fuhr ein Wind über die Versammlung hinweg. Kaum
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