Die träumende Welt 03 - Das Zeitalter des Chaos
Sie schienen sich in keiner Weise verändert zu haben. Sie hörten einfach auf, zu existieren, um gleich darauf erneut erschaffen zu werden.
Der untere Rand des Walls war jetzt nur noch vielleicht fünfzig Schritte entfernt, und jeder der vier spürte seine Gegenwart auf eine andere Weise. Für Hewe war er ebenso unbegreiflich wie der Nachthimmel - unglaublich fern und im Wesentlichen bedeutungslos. Sollte sich dieses Phänomen in seine Welt drängen, würde sich jemand anders damit befassen müssen. Er konnte es nur anschauen. Zana ergriff angesichts der unleugbaren Überlegenheit einer solchen Kraft das Gefühl purer Hilflosigkeit. Im Vergleich hierzu war der Mensch fast völlig bedeutungslos. Ganz ähnlich hatte sie empfunden, als während der Zerstörung der Vulkan auf ihrer Heimatinsel heftig ausgebrochen war und die Kraft der Erde auf die Menschen von Haele entladen hatte. Viele waren in dieser Feuerhölle umgekommen, andere dagegen - offenbar zufällig ausgewählt - hatten überlebt, um ihre Häuser auf der neuen, viel größeren Insel wieder zu errichten. Der Gedanke ließ sie erschaudern - genau wie eine Weissagung jüngeren Datums. Doch diesmal wird niemand überleben.
Cai wusste, dass er angesichts eines solchen Wesens hilflos war. Auch ohne Überprüfung seiner Theorien war ihm klar, dass seine Fähigkeiten sich im Vergleich zu der Kraft dieses Walls als vollkommen nutzlos erweisen würden. Ebenso nutzlos wie eine winzige Krabbe, die einen Wal attackiert - der Angriff würde nicht einmal bemerkt werden und hätte nicht die geringste Aussicht auf Erfolg. Während er auf die schimmernde Oberfläche starrte, dämmerte ihm allmählich, was die Menschen unter >Göttern< verstanden. Nur der Erd-Geist war imstande, ein derart gewaltiges Monument zu errichten. Ein Monument seines eigenen Wahnsinns?
Er stand jetzt ganz still da und sog sämtliche Eindrücke mit allen Sinnen auf. Wenigstens können wir vielleicht ein paar verwertbare Erfahrungen sammeln. Cai musste an Jordans optimistischen Rat denken und lächelte versonnen. Mehr kann ich unmöglich erreichen, dachte er.
Allmählich wuchs in ihm die Überzeugung, dass der Wall tatsächlich aus elementalen Kräften geschaffen sein musste. Allerdings in einer derart unermesslichen Größenordnung, dass Cai eine Weile benötigte, um die feineren Unterschiede zwischen diesem und seinem winzigen Gegenstück unterhalb von Great Newport zu erkennen. Der Schirm, den er durchbrochen hatte, war mit grausamer Präzision durch Zauberei von außen gebildet worden und vereinte die Energien mehrerer elementaler Wesen zu einem bestimmten Zweck. Dieser Wall war weder endlich noch präzise. Er hatte nichts anderes zum Zweck als seine eigene Existenz. Er war unnachgiebig und undurchdringlich.
Und er war ziemlich verrückt.
Diese Erkenntnis dämmerte Cai erst nach und nach, sickerte in seinen Verstand, wie ein langsam wirkendes Gift sich im Blutkreislauf ausbreitet. Schon ihn sich zu lange aus der Nähe zu betrachten, hieß, den Wahnsinn herausfordern. Die erschreckende Erkenntnis des Wahnsinns des Erd-Geistes war einen weiteren Schritt nähergerückt, und Cai hatte Mühe, sich aus seinen Gedanken zu rütteln.
»Kommt«, sagte er. Seine Stimme klang laut in der gespenstischen Stille. »Hier können wir nichts tun. Reiten wir ...«
Weiter kam er nicht. Als wären seine Worte der Auslöser gewesen, stürzte sich Wray schreiend auf den Wall.
Während die anderen ehrfurchtsvoll erstarrt waren, war in Wray ein Groll aufgestiegen, der schließlich zu heftiger Wut überschäumte.
Früher konnte ich die Elementalen kontrollieren ... und jetzt weiß ich so vielmehr. Die Tage geduldigen Forschern erstrahlten hell in seiner Erinnerung: die uralten Texte, die Flüche des Vermengens und Einsperrens, die auffordernden Rufe. Die Menschen sind dazu bestimmt, die Wesen zu beherrschen, dachte er, zwischen Triumph und Hohn schwankend. Und jetzt weiß ich mehr als jeder andere lebende Mensch. Mehr als dieser schwächliche Zauberer aus dem Norden, der mir meinen Platz und meine Macht streitig machen will. Wray betrachtete erneut den massiven Wall vor ihm. Doch das war nichts, verglichen mit dieser Kraft. Beherrsche sie, und du beherrschst die Welt!
Wut, Angst und Gier gaben seinen Selbsttäuschungen Nahrung, weckten seinen Fanatismus und machten jede vernünftige Überlegung unmöglich. Als Cai das lange Schweigen brach, reagierte Wray sofort. Sein aus dem Gleichgewicht gebrachter Verstand
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