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Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)

Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)

Titel: Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Wyndham
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offensichtlich nur tastend ausgewählt hatte; und eine Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm trug. Das Kind stieß unverständliche Wimmerlaute aus. Der junge Mann wollte sich gerade an der Frau vorbeidrängen, als er plötzlich stehenblieb.
    »Warten Sie«, sagte er. »Kann Ihr Kind sehen?«
    »Ja«, sagte sie. »Aber ich nicht.«
    Der junge Mann wandte sich um und streckte einen Finger gegen die Schaufensterscheibe.
    »Guck mal, Kleiner, was siehst du da?«
    »Bin kein Kleiner«, protestierte das Kind.
    »Komm, Mary, sag dem Herrn, was du siehst«, redete die Mutter ihr zu.
    »Hübsche Damen«, sagte das Kind.
    »Und was gibt’s hier?«, fragte er wieder.
    »Äpfel und so Sachen«, sagte das Kind.
    »Schön!«, antwortete der Mann.
    Er zog einen Schuh aus und schlug die Fensterscheibe mit dem Absatz ein. Das Geräusch der zersplitternden Scheibe hallte durch die Straße. Er zog seinen Schuh wieder an, steckte den Arm vorsichtig durch das Loch im Glas und tastete herum, bis er einige Orangen fand. Er reichte eine Frucht der Frau und eine dem Kind. Dann griff er erneut durch das Loch, fand auch für sich eine Orange und begann, sie zu schälen. Die Frau befühlte ihre.
    »Aber …«, sagte sie zögernd.
    »Was ist? Mögen Sie keine Orangen?«, fragte er.
    »Es ist doch nicht richtig«, antwortete sie. »Wir dürfen sie nicht einfach nehmen. Nicht so.«
    »Wie wollen Sie denn sonst etwas zu essen finden?«, bohrte er.
    »Ich denke – na ja, ich weiß nicht«, gestand sie unsicher.
    »Richtig. Das ist die Antwort. Essen Sie die Orange jetzt, und dann suchen wir nach etwas Gehaltvollerem.«
    Sie hielt die Frucht in der Hand und senkte den Kopf, als ob sie sie betrachtete.
    »Trotzdem, es scheint mir nicht richtig zu sein«, wiederholte sie, aber mit weniger Überzeugung in der Stimme.
    Dann stellte sie das Kind auf den Boden und begann, die Orange zu schälen.
    Piccadilly Circus war die belebteste Stelle, die ich bisher gesehen hatte. Vergleichsweise herrschte hier Gedränge, mochten es auch im ganzen keine hundert Leute sein. Sie wanderten ruhelos hin und her. Gelegentlich folgte auf einen Zusammenprall ein Wutausbruch mit Flüchen – kindisch und beängstigend anzuhören, war dies doch selbst ein Produkt der Angst. Sonst wurde kaum gesprochen. Es hatte den Anschein, als ob ihre Blindheit die Leute verschlossen machte. Die Ausnahme stand auf einer Verkehrsinsel. Es war ein großer, hagerer älterer Mann mit drahtigem grauem Haar, der sich eindringlich über Reue, den Zorn Gottes und die düsteren Aussichten für alle Sünder ausließ. Niemand beachtete ihn; der Zorn Gottes hatte sie bereits ereilt.
    Aus der Ferne war anschwellender Gesang von Männerstimmen zu hören und dazu der Schritt einer marschierenden Gruppe.
    Von meinem Standplatz aus konnte ich sie aus einer Seitengasse in die Shaftesbury Avenue einbiegen und auf uns zukommen sehen. Sie kamen im Gänsemarsch. Der zweite in der Reihe hatte seine Hände auf den Schultern des Anführers, der dritte auf denen des zweiten, und so ging es weiter; es mochten fünfundzwanzig bis dreißig Mann sein.
    Sie marschierten bis zur Mitte des Platzes. Hier erhob der Anführer seine Stimme: »Kompanie-ie-ie, halt!«
    Alles auf dem Platz war regungslos, alle Gesichter gespannt und erwartungsvoll ihm zugewendet. Wieder erhob er die Stimme und verkündete in der Art eines routinierten Fremdenführers: »Hier, meine Herrschaften, sind wir auf dem Piccabloodydilly Circus. Bekanntlich der Mittelpunkt der Welt, Achse des Universums. Wo die oberen Zehntausend ihren Spaß hatten. Mit Wein, Weib und Gesang.«
    Er war nicht blind. Anscheinend hatte ihm, ähnlich wie mir, ein Zufall das Augenlicht erhalten. Er war angetrunken; ebenso die Männer hinter ihm.
    »Und jetzt werden auch wir unseren Spaß haben«, fügte er hinzu. »Nächste Station: das bekannte Café Royal – alles gratis natürlich.«
    »Bravo – aber wo bleiben die Weiber?«, fragte eine Stimme.
    Gelächter folgte.
    »Weiber willst du?«
    Der Anführer tat einen Schritt vor und packte ein Mädchen beim Arm. Ohne sich um ihr Schreien zu kümmern, schleppte er sie zu dem Mann.
    »Da hast eine. Ein Täubchen, Mann, was Extrafeines, ein wahres Zuckerpüppchen, das ich dir da zukommen lasse.«
    Ich habe später eingesehen, dass ich mich sehr unklug verhielt. Ich bedachte nicht, dass ein Bandenmitglied mehr Aussicht hatte, am Leben zu bleiben, als ein Einzelgänger. Angefeuert von Schuljungenromantik und ritterlichen

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