Die Trinity-Anomalie (German Edition)
alles von der Seele zu reden, sich von dieser Last zu befreien und sie Trinity aufzubürden, dem sie zustand. Aber was sollte das schon bringen? Er war hier, um seinen Auftrag zu erledigen, und sonst nichts.
»Hallo, Reverend.«
»Zwanzig Jahre.« Trinity drehte sich auf seinem Stuhl um und sah seinen Neffen an. Von Nahem, ganz ohne Theaterschminke, wirkte er älter. Er sah immer noch gut aus, war immer nochsolariumgebräunt. Aber durch das Lifting war seine Haut unnatürlich straff und glänzend, und die vom ständigen Trinken geplatzten Äderchen erstreckten sich wie ein Spinnennetz über seine Wangen und den linken Nasenflügel. »Du hättest dich wenigstens verabschieden können.«
»Und du hättest mir die Wahrheit sagen können, anstatt mir was vorzumachen, als wäre ich einer von deinen vertrottelten Anhängern.« Er konnte nicht anders, es musste einfach raus.
Trinity zündete sich eine Zigarette an. »Ich hab’s versucht, verdammt. Als du Zweifel bekamst, habe ich es versucht, aber … Ich hätte es dir wohl von Anfang an sagen sollen. Aber du warst noch ein Kind und …« Er räusperte sich. »Und du warst gläubig. Es war so schön. Und wenn du mich angesehen hast … Ich habe es einfach nicht fertiggebracht, dich so zu enttäuschen.«
»Hast du wirklich geglaubt, dass ich nicht irgendwann dahinterkäme? Und immer wieder dieselben Leute als Lockvögel: der Taube aus Biloxi, der in Mobile plötzlich im Rollstuhl auftauchte … die Blinde aus Pensacola, die in Gainesville auf einmal Arthritis hatte …«
»Klar hatte ich Lockvögel«, sagte Trinity. »Aber du hast auch die anderen gesehen. Einige wurden wirklich geheilt.«
»Suggestivkraft«, sagte Daniel. »Placebo-Effekt.«
»Richtig. Aber es funktioniert. Ist doch egal, solange es den Leuten besser geht. Und was ist mit Jesus? Der hat immer gesagt: ›Dein
Glaube
hat dich geheilt.‹ Er hat niemals gesagt: ›
Ich
habe dich geheilt.‹ Er hat doch sicher auch manchmal Lockvögel unter seinen Zuhörern gehabt, um dem Glauben der Leute ein bisschen auf die Sprünge zu helfen.«
Daniel sagte nichts.
»Ich wollte es dir sagen, ganz ehrlich. Aber ich habe es nicht über mich gebracht. Ich habe zu lange gezögert. Die Kinder der anderen Prediger glaubten auch noch alles, und ich habe mir immer eingeredet, ich hätte noch Zeit.« Trinity klopfte seine Asche am Rand des Aschenbechers ab. »Ich hätte es wissen müssen, du warst den anderen immer voraus.«
»Ich musste sehr schnell erwachsen werden – deinetwegen.«
»Ach, Sohn, du bist schon alt auf die Welt gekommen! Ja, gut, es war falsch von mir, dir nichts zu sagen. Es tut mir leid, dass du es allein rausfinden musstest, aber das war kein Grund wegzulaufen. Wir hätten doch darüber reden können.« Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, stieß den Rauch aus und sah zu Daniel hoch. Er erwartete eine Reaktion, aber es kam nichts. Nach einer Weile sagte Trinity: »Erinnerst du dich an den Sommer ’85?«
Daniel erinnerte sich. Damals war er neun gewesen. Der einzige Sommer seiner Kindheit, in dem sie nicht umhergezogen waren. »Ja, du hast in dem Sommer nicht gepredigt. Du würdest dir fürs Bibelstudium freinehmen, hast du gesagt. Aber das war sicher gelogen.«
»Ja, es war eine Lüge«, sagte Trinity. »Willst du wissen, was ich in dem Sommer gemacht habe? Ich habe eine
Arbeit
angenommen, das habe ich gemacht. Habe Gebäudeversicherungen verkauft. In dem Jahr habe ich zum ersten Mal richtige Zweifel in deinen Augen gesehen – ernsthafte Zweifel –, deshalb wollte ich den Beruf wechseln. Für dich.« Trinity holte einen goldenen Cross-Kugelschreiber aus seiner Tasche und reichte ihn Daniel. »Sieh mal.« Auf dem Clip war ein kleines Schildchen mit einem Logo. »Jeden Monat bekam der beste Verkäufer von Bedrock Insurance so einen Kuli. Ich habe noch drei davon. In dem Sommer habe ich jede Menge Versicherungen verkauft. Habe die Armenviertel abgeklappert … Das waren meine Leute, ich wusste, wie man mit denen redet.« Er nahm den Kugelschreiber wieder an sich. »Und dann kam dein Namensvetter.«
»Mein …?«
»Hurrikan Danny. Hat bei Lake Charles die Küste erreicht, aber in New Orleans hat es dermaßen geschüttet, dass ein paar hundert Häuser zerstört wurden. Auch dreiunddreißig von denen, die ich höchstpersönlich versichert hatte. Und rate mal, was dann passiert ist. Bedrock hat sich ums Zahlen gedrückt. Es gab da irgendeine Klausel im Kleingedruckten. Die
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