Die Troja-Mission
lediglich vermuten, dass es um das zweite Jahrtausend vor Christus gewesen ist.«
»Die Kupferverhüttung kannte man in Zentralanatolien bereits im fünften vorchristlichen Jahrtausend«, sagte Boyd.
»Kupfer gab es in der ganzen antiken Welt in Hülle und Fülle. Sowohl in Europa als auch im Nahen und Mittleren Osten wurde es in großem Maßstab gewonnen. Doch als die Bronze erfunden wurde, stand man vor einem Problem. Zinn kommt in der Natur nur selten vor. Auf der Suche nach dem Erz schwärmten Prospektoren und Händler in alle Himmelsrichtungen aus, so wie später die Goldschürfer. Die größten Vorkommen fand man schließlich im Südwesten von England. Die britischen Keltenstämme machten sich das rasch zunutze, trieben Handel mit aller Herren Länder und verkauften das Zinn, das sie abbauten, verhütteten und zu Barren schmolzen, in der ganzen antiken Welt.«
»Aufgrund der hohen Nachfrage sicherten sich die Briten binnen kurzer Zeit ein Monopol und bestimmten die Preise, die die fremden Händler bezahlen mussten«, fügte Chisholm hinzu.
»Wenn sie aus reichen Ländern wie Ägypten kamen, konnten sie sich den Kauf eines derart teuren Rohstoffs leisten. Die Kelten in Mitteleuropa hingegen hatten lediglich ihre handwerklichen Erzeugnisse und jede Menge Bernstein zu bieten. Ohne eigene Bronzeindustrie aber mussten sie ihr Dasein weiter mit der Landwirtschaft bestreiten.«
»Folglich verbündeten sie sich und beschlossen, die Zinnminen der Briten in ihren Besitz zu bringen«, warf Yeager ein.
»Genau«, erwiderte Boyd. »Die keltischen Stämme auf dem Kontinent schlossen ein Bündnis und fielen in Südengland ein, um die Minen in ihren Besitz zu bringen, die sich in einer Gegend befanden, die damals unter dem Namen Troad bekannt war, beziehungsweise Troja, wie man es später nannte. Die Hauptstadt hieß Ilium.«
»Die Achäer waren also keine Griechen«, sagte Perlmutter.
Boyd nickte kurz. »
Achäer
bedeutete so viel wie Verbündete. Die Trojaner wiederum bezeichneten sich im Allgemeinen als Dardaner. Schließlich hieß auch das Land der Pharaonen ursprünglich nicht Ägypten.«
»Moment«, sagte Gunn. »Und woher stammt dann der Name Ägypten?«
»Früher hieß es Al-Khem, Misr oder Kemi. Erst viele hundert Jahre später, als der griechische Historiker Herodot die Pyramiden und die Tempel von Luxor erblickte, nannte er das seinerzeit bereits im Niedergang begriffene Reich Ägypten. Nach einem Land, das Homer in seiner
Ilias
beschreibt. Und seit Alexander dem Großen hat es diesen Namen behalten.«
»Welche Beweise führt dieser Wilkens für seine Theorie ins Feld?«, fragte Sandecker.
Boyd warf Chisholm einen fragenden Blick zu. »Wollen Sie übernehmen, Doktor?«
»Vermutlich wissen Sie darüber genauso gut Bescheid wie ich«, sagte Chisholm lächelnd.
»Darf ich einspringen?«, fragte Perlmutter. »Ich habe mich mit Wilkens’ Buch eingehend befasst.«
»Bitte sehr«, erwiderte Boyd.
»Es gibt Unmengen von Beweisen«, begann Perlmutter. »Zum einen hält so gut wie keine der Beschreibungen in Homers Epen einer genauen Überprüfung stand. Nirgendwo bezeichnet er die Angreifer als ›Griechen‹. Im elften vorchristlichen Jahrhundert, in dem der Krieg angeblich stattfand, war Griechenland nur dünn besiedelt. Es gab keine größeren Städte, die eine starke Kriegsflotte hätten ausrüsten können. Zudem galten die alten Griechen nicht unbedingt als Seefahrervolk. Homers Darstellung der Schiffe und der Männer, die sie ruderten, erinnert vielmehr an die Wikinger, die zweitausend Jahre später die Meere befuhren. Auch seine Beschreibung der See trifft eher auf die europäische Atlantikküste zu als aufs Mittelmeer.
Die klimatischen Verhältnisse passen ebenso wenig. Homer berichtet von ständigen schweren Regenfällen, von dichten Dunst- und Nebelschleiern. Witterungsbedingungen, die eher in England üblich sind als in der westlichen Türkei, die bekanntlich nicht weit von der afrikanischen Mittelmeerküste entfernt ist.«
»Dann wäre da noch die Vegetation«, hakte Boyd nach.
»Selbstverständlich«, sagte Perlmutter mit einem knappen Nicken. »Ein Großteil der Bäume, die Homer anführt, passt eher in das feuchte europäische Klima als in die trockenen Landstriche Griechenlands oder der Türkei. Er erwähnt hauptsächlich grüne Laubbäume, während die Griechen überwiegend Koniferen und andere Nadelhölzer gekannt haben dürften. Hinzu kommen die Pferde. Die Kelten waren Pferdenarren.
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