Die Troja-Mission
verlieren.
Pitt hatte sich bewusst für ein Atemgerät entschieden, das mit einem geschlossenen Gaskreislauf arbeitete. Mischgas- oder Pressluftgeräte waren für den Einsatz in größerer Tiefe besser geeignet, aber sie erzeugten eine verräterische Blasenspur. Bei den mit reinem Sauerstoff betriebenen Regenerations- oder Kreislaufgeräten hingegen entwich keine Atemluft, weshalb sie vornehmlich von Kampftauchern bei geheimen Einsätzen verwendet wurden. Man musste den Umgang mit diesen Geräten eigens trainieren, aber Pitt und Giordino benutzten sie schon seit zwanzig Jahren und kannten sich damit aus.
Keiner der beiden sprach. Giordino hielt sich hinter Pitt und orientierte sich mithilfe einer abgedunkelten Unterwasserstiftlampe, deren dünner Lichtstrahl von oben so gut wie nicht zu entdecken war. Pitt sah, dass der Boden langsam abfiel, als sie sich der Fahrrinne näherten. Er hielt inne, warf einen Blick auf seinen Kompass und schwamm dann auf die Hafenanlagen von Odyssey zu. In weiter Ferne, aber durch die höhere Schallgeschwindigkeit unter Wasser verstärkt, hörten sie das Mahlen der Zwillingsschrauben des Patrouillenbootes.
Sie verließen sich auf den Kompass und die GPS-Anzeige des Tauchcomputers und hielten auf eine Stelle unterhalb des großen Kais zu, an der sie an Land gehen konnten. Sie schwammen langsam und stetig, sahen, wie das Wasser oben allmählich heller wurde, je näher sie den Lampen kamen, die das ganze Hafenareal in gleißendes Licht tauchten. Aber auch die Suchscheinwerfer sahen sie, deren Strahlen über ihnen durchs Wasser strichen.
Der gelbliche Lichtschein auf dem Wasserspiegel wurde stetig heller, die Sicht immer besser. Nach weiteren hundert Metern konnten sie die matt schimmernden Umrisse des Pfahlwerks unter dem Kai erkennen. Sie umschwammen das große COSCO-Schiff und hielten sich weitab, damit sie niemand sah. Am Kai war mittlerweile Ruhe eingekehrt. Die großen Kräne standen still, die Lagerhäuser waren geschlossen und die Lastwagen weggefahren.
Mit einem Mal kribbelte es in Pitts Nacken, als er eine Bewegung im Wasser wahrnahm. Dann tauchte ein riesiger Schemen im Wasser auf, streifte mit der Flosse Pitts Schulter und verschwand wieder. Giordino spürte, wie die Leine schlaff wurde, als Pitt zusammenzuckte.
»Was ist los?«, fragte Giordino.
»Ich glaube, ein Carcharhinide pirscht sich an uns ran.«
»Ein Hai?«
»Ein Süßwasserhai aus dem Nicaragua-See. Stumpfe Schnauze, groß und grau, zweieinhalb bis drei Meter lang.«
»Beißen Süßwasserhaie?«
»Zeig mir einen, der kein Fleischfresser ist.«
Pitt schwenkte die Stiftlampe im Kreis herum, doch der dünne Strahl drang kaum drei Meter weit durch das trübe Wasser. »Wir sollten lieber eine Wagenburg bauen.«
Giordino begriff sofort, was er meinte, schwamm zu Pitt und drehte sich um, bis sie Rücken an Rücken waren und rundum absichern konnten. Wie auf ein Stichwort zogen sie ihre Tauchermesser aus den am Unterschenkel befestigten Scheiden und hielten sie vor sich wie Schwerter.
Der Räuber kehrte zurück, umkreiste sie und kam langsam näher. Bedrohlich schimmerte die graue Haut im schummrigen Schein ihrer Stiftlampen, als die scheußliche Bestie sie mit einem Auge, das fast so groß wie eine Kaffeetasse war, anglotzte, das Maul weit aufriss und die dichten Reihen messerscharfer, dreieckiger Sägezähne zeigte. Mit einer jähen Drehung strich er an den Tauchern vorbei, um diese seltsamen Wesen, die ganz und gar nicht seiner sonstigen Beute ähnelten, näher in Augenschein zu nehmen. Er wirkte wie ein gefräßiges Ungeheuer, das feststellen wollte, ob diese beiden sonderbaren Fische, die in sein Reich eingedrungen waren, eine schmackhafte Mahlzeit abgaben. Anscheinend wunderte er sich, dass seine Beute keinerlei Anstalten machte, die Flucht zu ergreifen.
Pitt erkannte, dass der Killer noch nicht bereit zum Zustoßen war. Das Maul war nur einen Spalt breit geöffnet, die mörderischen Zähne lagen noch nicht ganz bloß. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte er und stürzte sich auf das Biest, stieß das Messer nach vorn und zog es dem Hai über die Schnauze, die einzig empfindliche Stelle an seinem ganzen Leib.
Der Hai, verdutzt und wütend über die plötzliche Gegenwehr einer vermeintlich leichten Beute, drehte ab und zog eine Blutspur hinter sich her. Dann machte er kehrt, schwebte einen Moment lang im Wasser, schlug dann einmal kurz mit der Schwanzflosse aus und stieß pfeilschnell auf sie zu,
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