Die Troja-Mission
gegen ihre Listen und Verführungskünste gefeit. »Was hast du im Sinn?«, fragte er ungerührt.
»Ich möchte mir die Höhle genauer ansehen, in der ich das Gefäß gefunden habe.«
»Findest du in der Dunkelheit wieder hin?«
»Wie ein Fuchs zu seinem Bau«, erwiderte sie selbstbewusst. »Außerdem findest du es doch immer so großartig, dass man beim Nachttauchen ganz andere Fische sieht als tagsüber.«
Dirk war geködert. »Dann aber schnell. Wir haben noch einen Haufen Arbeit vor uns, ehe der Sturm losbricht.«
Summer hakte sich bei ihm unter. »Du wirst es nicht bereuen.«
»Warum sagst du das?«
Sie schaute ihren Bruder mit ihren sanften grauen Augen an. »Weil ich glaube, dass wir in der Höhle auf ein noch viel größeres Geheimnis stoßen als das Gefäß.«
6.
Summer übernahm die Führung, als sie aus der Luftschleuse stiegen, gegenseitig ihre Geräte überprüften und dann hinaus in die See schwammen, die schwarz wie das Weltall war. Beide schalteten ihre Unterwasserlampen ein und erschreckten die Fische in ihrer Nähe, die nach Einbruch der Dunkelheit aus ihren Schlupflöchern gekommen waren, um inmitten der Korallen auf Futtersuche zu gehen. Kein Mondlicht spiegelte sich auf dem Meer, und die Sterne waren von dunklen Wolken verhüllt, den ersten Vorboten das aufziehenden Sturms.
Mit geübten Flossenschlägen schwamm Dirk hinter seiner Schwester her und folgte ihr in die dunkle Welt des Schweigens. An ihren eleganten, lässigen Bewegungen erkannte er, wie sehr sie den Aufenthalt unter Wasser genoss. Die Luftblasen, die gleichmäßig wie Perlenschnüre aus ihrem Atemgerät aufstiegen, verrieten, dass sie eine ausgezeichnete Taucherin war. Sie blickte durch ihre Taucherbrille zu ihm zurück und lächelte. Dann deutete sie nach rechts und schwamm mit ein paar Flossenschlägen über die Korallen davon, deren matte Farben im Schein ihrer Lampe schimmerten.
Trotz der Dunkelheit hatte die stille Unterwasserwelt nichts Bedrohliches an sich. Neugierige Fische, die von den Taucherlampen angelockt wurden, kamen aus ihren Verstecken zwischen den Korallen und betrachteten die unbekannten Wesen, die glänzende Hüllen trugen und in ihr Reich eindrangen. Ein großer Papageifisch schwamm neben Dirk her und musterte ihn keck wie eine Katze. Sechs fast anderthalb Meter lange Barrakudas mit ihren vorstehenden Unterkiefern, an denen reihenweise nadelspitze Zähne saßen, tauchten aus der Dunkelheit auf. Sie glitten an den Tauchern vorbei, ohne ihnen auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Summer schwamm durch die Korallen, als orientierte sie sich auf einer Karte. Ein kleiner Igelfisch, der vom Lichtschein erschreckt wurde, blies sich zu einer Kugel auf, aus der lauter spitze Stacheln ragten wie bei einem Kaktus – höchst unwahrscheinlich, dass ein Räuber so dumm war, eine derart dornige Beute zu verschlingen, an der er sich allenfalls den Schlund zerkratzte.
Ihre Lampen warfen unheimlich flackernde Schatten auf die verästelten Korallen, die teils scharf und gezackt, teils rund und kugelig waren. Dirk kam sich angesichts der verwirrenden Farben und Formen vor, als betrachtete er ein riesiges abstraktes Gemälde. Er warf einen Blick auf seinen Tiefenmesser. Vierzehn Meter. Dann schaute er wieder nach vorn und sah, wie Summer plötzlich in eine schmale Schlucht mit steil aufragenden Wänden hinabstieß. Als er ihr folgte, bemerkte er eine Reihe von Spalten und Klüften in den Korallen, Öffnungen kleiner Höhlen, und fragte sich, welche sie tags zuvor angelockt hatte.
Vor einer fast rechtwinkligen Öffnung, die von zwei geradezu unnatürlich wirkenden Säulen gesäumt wurde, hielt sie schließlich inne. Nachdem sie sich kurz umgedreht und davon überzeugt hatte, dass ihr Bruder ihr folgte, schwamm Summer ohne zu zögern hinein. Diesmal, mit einer Unterwasserlampe in der Hand und in Begleitung ihres Bruder, fühlte sie sich sicherer und drang tiefer vor, über die Stelle hinaus, an der sie im sandigen Untergrund das Gefäß entdeckt hatte.
Die Höhle wies keinerlei Kurven und Biegungen auf, die Wände waren völlig glatt. Schnurgerade wie ein Korridor führte sie tiefer und tiefer ins Innere des Riffs.
Höhlentauchen ist gefährlich, da man in einem Labyrinth aus Stollen und Gängen leicht die Orientierung verliert. Jeder Fehler aber kann tödlich sein. In dieser Grotte allerdings bestand nicht die Gefahr, dass sie sich verirrten, denn hier gab es weder Abzweigungen noch Öffnungen in der Wand, die
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