Die Trolle
sie sicherlich gut zu sehen, doch sie hoffte, dass der Anschein einer Magd, die noch einmal zum Brunnen geschickt worden war, den flüchtigen Blicken der Wachen standhalten würde. Ein junger Mann auf den Mauern winkte ihr zu, und sie nickte grüßend zurück, obwohl ihr beinahe das Herz stehen blieb. Der Soldat aber wandte sich einfach ab und setzte seine Runden fort. Ansonsten ertönten tatsächlich keine Rufe, niemand schenkte ihr weiter Beachtung, als sie den Hof überquerte und in das Torhaus trat.
Nachts waren die breiten Tore, welche die Burg von der Stadt trennten, geschlossen und die beiden mächtigen Riegel vorgelegt, doch gab es an der Seite ein schmales Manntor, das zwar ebenfalls verschlossen war, aber das auch weitaus weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, wenn man es öffnete. Schnell stellte Viçinia ihre Eimer in eine kleine Nische. Mit vor Schweiß feuchten Fingern zog die Wlachakin zwei Kupfernadeln aus ihrem Haar und näherte sich der schmalen Tür. Eigentlich sollte das schwere Vorhängeschloss den Metallriegel sichern, doch die Wachen hatten nur den Riegel vorgeschoben und das Schloss nicht einrasten lassen. Beinahe hätte Viçinia vor Erleichterung laut geseufzt, denn das Öffnen des Schlosses stellte den Schwachpunkt in ihrem Plan dar. Zwar hatte sie früher ein wenig Erfahrung mit dergleichen gewonnen, aber die Tür zur Speisekammer in der Burg von Désa war doch eine wesentlich kleinere Herausforderung gewesen.
Ganz langsam hob Viçinia den Riegel aus seiner Verankerung und zog das Manntor einen Spalt auf. Der breite Platz vor der Feste lag leer und verlassen vor ihr, also schlüpfte sie durch die Tür und zog sie dann vorsichtig zu. Es war ihr bewusst, dass sie sich beeilen musste, denn es mochte jeden Augenblick geschehen, dass jemand das Tor überprüfte, und dann würde man den geöffneten Riegel bemerken. Dennoch wartete sie ein wenig ab und presste sich an die Wand.
Über sich konnte sie die leise geführte Unterhaltung von zwei Wachen hören, also schlich sie an der Burgmauer entlang nach Westen, bis die Stimmen sich verloren. Nach zwei tiefen Atemzügen stieß sie sich von der Mauer ab und ging über den Platz. Vor sich sah sie nur die dunkle, schmale Gasse, die Sicherheit verhieß.
Sie konzentrierte ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Eingang zur Gasse, auch wenn sie jeden Augenblick erwartete, Schreie oder das Geräusch eines Bogens zu hören und den Pfeil zu spüren, der ihr in den Rücken schlug. Doch es ertönten keine Alarmrufe, und keine Pfeile flogen durch die Stille der Nacht.
Dennoch musste sie einen Herzschlag lang innehalten, als sie zwischen den Fachwerkhäusern verschwand und die Feste hinter sich ließ. Ihre Beine zitterten, und ihr Herz raste, und sie brauchte einen Augenblick, um sich zu beruhigen. Dann versuchte sie, sich zu orientieren.
Laut Suhai musste sie fort von der Feste, weiter in den Süden zum Hafen. Mit gerafftem Rock lief sie los, um keine Zeit mehr zu verschwenden.
Seit ihrer Ankunft in Teremi hatte Viçinia die Feste Remis nicht verlassen. Ihr ganzes Wissen über die Stadt beruhte auf Geschichten und Gesprächen, die sie belauscht hatte, und auf dem Ausblick, den sie tagtäglich von den Zinnen gehabt hatte. Zum Hafen hin wurden die Stadtviertel ärmlicher, die reichen Bürger kauften sich Häuser nahe der Burg, die im Norden über der gesamten Stadt thronte. Die ärmeren Bewohner, die kleinen Kaufleute, Hafenarbeiter und Tagelöhner, hauptsächlich Wlachaken natürlich, lebten weiter von der Feste entfernt.
Zunächst verwirrte die fremde Stadt Viçinia, doch dann vernahm sie das beständige Rauschen des Magy, und sie folgte dem Geräusch. Zweimal musste sie sich verstecken, als sie den schweren Stiefeltritt von Zorpads Wachen hörte, die in der Dunkelheit durch die nördlichen Stadtviertel patrouillierten. Aber beide Male marschierte die Patrouille an ihr vorbei, ohne sie zu entdecken, auch wenn Viçinia befürchtete, dass allein der Schlag ihres Herzens sie verraten würde. Nahe der Burg waren die Gebäude hoch und gut gepflegt, mit weißer Farbe getüncht und mit Holzschnitzereien verziert, doch je weiter Viçinia nach Süden kam, desto ärmlicher und einfacher wurden die Häuser, bis es kaum mehr als Holzhütten oder gar erbärmliche Bretterbuden waren. Hier und da fiel Licht durch die Ritzen eines Fensterladens, einmal bellte ein Hund, als sie vorbeilief, doch ansonsten schlief Teremi und lag wie ausgestorben da.
Als sie jedoch das
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