Die Trolle
»Mein eigen Fleisch und Blut. Und Eure Schwester.«
Schweigend wartete Viçinia darauf, dass er weitersprach, doch der kräftige Masride sah ihr lange nur in die Augen, was ihr einen Schauer durch Mark und Bein jagte. So mochte ein Zraikas seine Beute ansehen, bevor er sie mit Fängen und Klauen zerfetzte.
»Aber ich bin bereit, diese kleinlichen Fehden ruhen zu lassen. Ich bin bereit, den ersten Schritt zu tun. Ich werde Euch zurück zu Eurer Schwester senden.«
Zwar fehlten Viçinia die Worte nach dieser unerwarteten Ankündigung, doch ihr jahrelanger Umgang als Gesandte Ionnas hatte ihre Etikette geschliffen, sodass sie ihre Verwirrung verbarg und einfach nur huldvoll das Haupt senkte und schwieg.
Erst als sie sich wieder ihrer Stimme sicher war, fragte sie: »Ihr wollt mich gehen lassen? Was ist mit den anderen Geiseln?«
»Auch sie werden frei sein. Wenn …«
»Wenn?«
»Wenn Ihr für mich eine bestimmte Botschaft an Eure Schwester überbringt«, eröffnete Zorpad der jungen Frau, »und zwar in meinem Sinne.«
»Eine Botschaft in Eurem Sinne?«, wiederholte Viçinia. »Was für eine Botschaft könnte das sein?«
»Ein Friedensangebot. Ein Ende des Krieges, des Tötens, des Leidens«, erwiderte Zorpad mit einem breiten Lächeln. Misstrauisch sah Viçinia ihn an.
»Natürlich müssten einige Zugeständnisse gemacht werden«, erklärte der Masride.
»Und diese wären …?«
»Eure Schwester wird mich als Lehnsherrn anerkennen und meinen Anspruch auf die Krone von Ardoly unterstützen. Ihre Krieger werden an meiner Seite kämpfen, wenn sich jemand widersetzen sollte. Im Gegenzug sichere ich ihr Frieden für sie und ihre Untertanen zu.«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, erwiderte Viçinia, was Zorpad erneut lächeln ließ, bis sie bissig fortfuhr, »außer, dass Ihr wohl von Sinnen seid!«
Wütend starrte Zorpad sie an und zischte: »Hütet Eure Zunge!«
»Denkt Ihr wirklich, dass sie dieses Angebot annehmen kann?«, fragte die Wlachakin mit einem entgeisterten Kopfschütteln. »Es ist ohne Bedeutung, wer es überbringt; sie wird es ablehnen.«
»Es ist das einzige, das ich machen werde, Dame Viçinia. Entweder es wird angenommen, oder es wird Krieg geben!«
Hastig überlegte Viçinia. Es war unmöglich, dass es unter diesen Bedingungen einen Frieden geben konnte. Niemals würde Ionna dem zustimmen, darüber war sie sich im Klaren. Andererseits war es vielleicht eine Möglichkeit, aus der Geiselhaft zu entkommen. Sobald tatsächlich ein Krieg ausbrach, würde Zorpad die Geiseln töten, dessen war sich Viçinia sicher. Deshalb mussten sie auch aus seiner Gewalt entkommen, bevor es so weit war. Vor allem, wenn der offene Krieg bereits unausweichlich war, so wie es Viçinia nun erschien. Also sagte sie: »Nun gut, ich werde Euer Angebot überbringen, wenn Ihr dies wünscht.«
»Oh, das tue ich.«
»Wann werden wir abreisen?«
»Wir?«
»Nun, ich und die anderen Geiseln?«, fragte Viçinia nach.
»Ihr habt mich falsch verstanden. Die anderen werden zu ihren Familien zurückgesandt, wenn Eure Schwester meinen Bedingungen zugestimmt hat«, erwiderte Zorpad lächelnd.
»Und wenn sie das nicht tut?«
»Ich bin sicher, dass Ihr das Ohr Eurer Schwester habt, werte Viçinia. Und dass Ihr Euch Mühe geben werdet. Denn solltet Ihr bei dem Versuch versagen, Eure Schwester zu überzeugen, dann wird es einen Krieg ohne Gnade geben. Einen Krieg mit vielen Opfern.«
Mit zwei schnellen Schritten trat der Masride dicht an sie heran und baute sich vor ihr auf. Seine körperliche Nähe war ihr fast unerträglich, und sie zuckte zurück, als er den Arm ausstreckte und ihr mit seinen Fingern über die Wange strich.
»Ich fürchte, Ihr versteht mich nicht: Ihr werdet zu Eurer Schwester reisen und Ihr raten, sich mir zu unterwerfen. Das ist keine Frage, keine Bitte; dies wird geschehen.«
Mit geschlossenen Augen drehte Viçinia ihr Gesicht zur Seite, doch Zorpad folgte ihrer Bewegung und schritt langsam um sie herum, wobei er seine Fingerkuppen über ihren Hals wandern ließ.
»Zur Not werde ich über die Leiber Eurer Landsleute auf den Thron steigen, wenn Ihr mich dazu zwingt«, flüsterte der Masride ihr ins Ohr. Stolz warf Viçinia ihren Kopf herum, trat einen Schritt zurück und bedachte Zorpad mit einem kalten Blick. »Eure Heere wurden einmal besiegt. Diesmal würde es Euch nicht anders ergehen!«
Statt des erwarteten Wutausbruches legte der Masride den Kopf in den Nacken und lachte.
»Einmal
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