Die Trugburg
gequälten Seufzern, die aus den Wänden kamen.
Ceroc ließ sie allein. Natürlich wußte er gut genug, daß er Eroice nur für wenige Stunden besänftigen konnte. Die Lebenskraft keiner Jungfrau reichte aus, um der Schwester eine andauernde Schönheit zu schenken.
Wenn sie sich seiner in Enttäuschung und Zorn erinnerte, mußte er den Aegyr-Körper gefestigt haben. Erst dann konnte auch die mächtige Hexe ihm nichts mehr anhaben.
Kichernd schritt Ceroc die Stufen zur Halle hinab. Als es aus einer Säule besonders laut stöhnte, blieb er stehen und klopfte gegen den Marmor.
»Eifersüchtig auf Mythor, mein armer Freund?« höhnte er. »Warte nur ab. Bald teilt er dein Schicksal.«
Und dann hatte Ceroc die Schwester in der Hand. Denn Kalaun wollte Mythor so, wie er war.
Noch! dachte Ceroc belustigt.
5.
Mythor konnte fast nicht mehr daran glauben, daß der Stollen noch einmal ein Ende nehmen würde, als er endlich gegen ein Hindernis stieß. Er war langsam und vorsichtig genug gekrochen, um sich den Kopf nicht allzu böse zu schrammen. Seine Hände betasteten Steine – und drückten sie auseinander.
Sie fielen mit dumpf hallendem Gepolter auf den Holzboden eines dunklen Kellergewölbes. Der Lichtstreifen unter einer Tür auf der anderen Seite warnte ihn. Noch bevor er die Schritte vernahm, war er aus dem Stollen heraus und mit drei, vier schnellen Sätzen neben der Tür.
Sie öffnete sich nach innen. Ein Mangokrieger trat ein, in der rechten Hand ein Kurzschwert, in der linken eine Pechfackel. Bevor er sich umdrehen konnte, hatte Mythor ihm von hinten einen Arm um den Hals gelegt und schlug mit der freien Faust zu. Der Schlag traf die Schläfe unter der schwarzen Vermummung. Mythor ließ den Bewußtlosen zu Boden gleiten, nahm das Schwert an sich und spähte in den Gang hinaus.
Er hatte Glück. Nur ein Posten hatte die Tür bewacht. Mythor holte sich auch noch die Fackel und sah jetzt, daß er geradewegs im Weinkeller herausgekommen war. Ein Riesenfaß lag neben dem anderen. Mythor spürte, wie trocken seine Kehle war, doch er widerstand der Versuchung. Ein klarer Kopf war jetzt das Wichtigste.
Der Gang führte zu einer Steintreppe. Im Licht der Fackel sah Mythor Wandbemalungen auf weißem Verputz. Die Farbe blätterte an vielen Stellen ab, doch was er noch zu erkennen vermochte, reichte ihm. Der unbekannte Künstler hatte ausnahmslos Geschöpfe von abgrundtiefer Häßlichkeit hier verewigt – Männer und Frauen mit grausamen Grimassen oder Tiergesichtern, verstümmelte Kinder, Krüppel und andere Kreaturen, die nur einem unvorstellbar kranken Geist entsprungen sein konnten.
Mythor schüttelte sich. Die Treppe endete vor einer Holztür. Nichts war zu hören außer den Lauten, die Mythor schon seit dem Eindringen in den Geheimstollen wahrnahm. Sie ähnelten dem Geheul, das die Nebel um die Burg herum erfüllte. Nur schien das Klagen und Stöhnen hier direkt aus den Mauern heraus zu dringen. Es war keine Einbildung. Mythor konnte sogar ein, zwei Stellen bestimmen, von wo es besonders schaurig klang, und das war jeweils hinter einer Bemalung.
Er stieß mit dem Schwertknauf dagegen. Das Stöhnen verstummte. Dafür war es ihm, als schlüge ihm eine Welle glühenden Hasses entgegen.
Weißt du, was das ist, Gesed?
»Opfer«, antwortete die Maske erneut. »Opfer der Hexe, Mythor. Ein furchtbarer Zauber, der über dem ganzen finsteren Ort liegt. Mehr weiß ich nicht, glaube mir.«
Was blieb ihm anderes übrig? Er hatte es eilig, von hier fortzukommen, und eilig, Tallia zu finden. Wenn sie beobachtet hatte, wie er in den Brunnen stieg, mußte sie ihm wieder ein Zeichen geben.
Auf Mangowachen gefaßt, zerbrach Mythor das Türschloß mit der Klinge. Er sprang auf den Gang und wirbelte um die eigene Achse. Kein Gegner war zu sehen. An den Wänden flackerten Öllampen. Dazwischen befanden sich wieder Türen. Und von überallher grinsten dem Eindringling die Fratzen von abscheulichen Bemalungen entgegen.
»Bleib nicht stehen«, sagte Gesed, »oder du unterliegst einem Zauber, der vielleicht von den Bildern ausgeht. Wir sind im Herrschaftsgebäude. Tallias Gesang kam aus den oberen Stockwerken. Dort muß auch Eroice zu finden sein.«
Das bedeutete, weitere Treppen hinauf. Mythor bemühte sich, so lautlos wie möglich zu gehen. Schließlich stand er in einem weiteren Korridor, dessen Boden von verfilzten, schmutzigen Teppichen bedeckt war. Vor den Wänden befanden sich Truhen, Schränke und rostende Rüstungen.
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