Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
gewesen. Ihr Vater erwartete jetzt eine Stellungnahme. „Ich stimme Fernheim nicht zu, wenn er behauptet, dass der Erfinder Joseph Marie Jacquard mit seinen Musterwebmaschinen bis hierher an den Rand der deutschen Nationen gelangen wird und unsere Webstühle verdrängt.“
„Das würde ich so schnell nicht behaupten, Luisa. Jacquards Musterwebmaschinen sind schließlich der Grund, weshalb die Konjunktur am Boden ist.“
Luisa wurde nachdenklich: „Werden wir es zulassen, dass unsere Ware durch Maschinenstoffe ersetzt wird? Jeder weiß doch, dass Jacquard keinen richtigen Damast zuwege bringt. Das ist Betrug. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser König Anton minderwertiges Zeug auf seinen Tafeln und Betten duldet.“ Luisa brach ab, denn ihr Vater schien ganz abwesend. Wie eben schon.
„Da ist etwas, Luisa, was ich mit den Herren Liebig und Haller oder den Kollmars, die Geologen sind und nicht Textilfaktoren, nicht besprechen kann, weil es sich weibisch anhört, aber du ...“
„Ich bin ein Weib.“
Er schenkte ihr einen versöhnlichen Blick. „Das meine ich nicht. Ich meine, die Herren Liebig und Haller oder die Mätzigs sehen im Damast nur den Profit. Sie sehen wohl auch, dass die Jacquard-Musterwebmaschinen billigere Ware, welche für das Auge der Laien dem Damast gleicht, produzieren. Und sie haben begriffen, dass Jacquard hier bei uns früher oder später einziehen wird, sonst ...“
„... können wir die Firmen schließen.“
„Ganz recht. Man muss sich weiterentwickeln.“
„Will man das auch?“ Spott in ihrer Stimme.
„Von Wollen kann keine Rede sein. Das Problem stellt nicht die Jacquard-Billigware dar, sondern der Weber. Es wird ihnen immer schlechter gehen. Das muss auch erkannt werden.“
„Und das kann nur ein Weib?“ Jetzt hatte in Luisas Stimme Sarkasmus gelegen.
„Nun ja, das ist, was den Frauen auffällt und den Männern verborgen bleibt, weil sie kein Gespür für dergleichen haben. Ich denke oft an den Vorfall Anfang des Jahres, als du während der Abgabe Weber Wanger über dessen Eheweib befragt hast, weißt du noch?“
Sie nickte.
„Was machen wir mit den Webern, wenn wir Jacquard-Musterwebmaschinen hier aufstellen?“
Darauf wusste sie keine Antwort. „Wie viele können denn an so einer Maschine arbeiten?“
Er antwortete mit einer Gegenfrage. „Wie viele arbeiten an einem handgezogenen Damasttuch?“
Und aus dem Lehrbuch zitierte sie: „Der Kettreiger, der Lätzemacher, der Mustermaler, der Zieher und mindestens ein Weber.“
„Am Maschinendamast arbeitet einer: einer, der die Lochschablone überwacht, den Webstuhl überwacht, die fertige Ware überwacht. Kannst du dir das vorstellen? Da sitzt einer, der nichts anderes tut, als den ganzen Tag zu gucken. Gucken, ob keiner guckt.“ Er lächelte bitter und paffte energisch den Rauch in den Raum.
„Es muss ja nicht so kommen, Vater.“
„Es wird.“
„Und die Weber, die nicht gucken? Was machen die dann?“
„Ja, was machen die dann?“ Er schaute gedankenverloren aus dem offenen Fenster, an das er sich gestellt hatte. Luisa hatte ein ganz mulmiges Gefühl im Bauch. Was würde Caspar Weber machen, wenn es die Maschinen bis ins Mandautal geschafft haben würden. Dieser Gedanke war so bleischwer, dass er ihr den Atem abschnitt. Was würde aus ihnen werden?
„Wann werden wir Maschinen haben?“
Ihr Vater schüttelte den Kopf und sagte dann: „In ein paar Jahren sicherlich. Noch nicht gleich, denke ich. Im Sommer werden wir uns die Dinger ansehen.“ Ihr Vater meinte die Leipziger Mustermesse.
„Stimmt es, dass in Saalendorf eine gebaut wird?“ Das war gleich das nächste Dorf. Gerüchte hatte Luisa aufgeschnappt, dass König Anton einen Preis ausgesetzt hatte für denjenigen, der als Erster eine Musterwebmaschine zustande brachte. Eine Handvoll Goldtaler für den, der die Weber arbeitslos machte.
Sie fand nicht in den Schlaf in dieser Nacht, weil sie andauernd über das nachdenken musste, was ihr Vater ihr gesagt hatte.
Der Brief war weg, aber seine Mutter machte kein fröhlicheres Gesicht. Sie nahm die Karwoche als das, was sie war, und blies Trübsal.
Seine Schwestern hatten am Sonntagmorgen das Schweigegebot während des Osterwasserholens gebrochen und bliesen Trübsal, weil sie jetzt ein Jahr lang weder von Glück noch von Schönheit beseelt werden würden. Caspar fand alle seine Schwestern hübsch, da brauchte es kein Plapperwasser. Lediglich Agnes hatte einen hässlichen
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