Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Charakterzug, der sie zum Petzen und Lästern verleitete. Aber dafür konnte sie nichts, fand Caspar. Der Einzige, den sie liebte, war Clemens, und der war weg. Zum Glück.
Ostermontag 1830 fiel auf den zwölften April. Ein Montag ohne Abgabe, ohne die Treuentziens. Ein Feiertag, und dazu ein beschenkter, weil Clemens’ Geld eingetroffen war. Das hatte Elsbeth vom dünnen Jacobi geholt, weil sie an der Reihe gewesen war.
Caspars Eltern diskutierten die Vor- und Nachteile eines Gottesdienstbesuches an einem solch freien Montag. Caspar selbst war gestern, am Sonntag, in der Kirche gewesen. Heute kriegte ihn keiner dorthin. Er war lange im Bett geblieben und ließ es sich jetzt einen ganzen Vormittag lang gutgehen. Allein. Endlich einmal allein. Einen ganzen Vormittag. Er las ein bisschen, schlief aber darüber ein.
Am Nachmittag schnitt seine Mutter das Osterbrot an. Es war mit Rosinen gebacken. Allein die Rosinen hatten vermocht, Mutters Untergangsstimmung aufzuhellen. Aber das energische Klopfen an der Tür zerschlug die Beschaulichkeit.
„Erwarten wir Besuch?“, fragte Friedrich Weber überrascht. Niemand antwortete. Es war wohl kein Weber, der da um Einlass ersuchte, denn Weber klopften nicht bei Webern an.
Blicke wurden getauscht.
Die jüngeren Mädchen, Sophie und Margarete, starrten mit vollen Backen zwischen den Eltern hin und her. Die älteren Mädchen, Agnes und Elsbeth, in deren Mitte der schmächtige Balthasar klemmte wie der Apfel am Pflaumenbaum, begannen zu tuscheln. Agnes guckte zerknirscht wie immer. Mutter stand mit dem Brotmesser da, als sei sie bereit zum Angriff.
Es klopfte abermals.
Caspar erhob sich, weil kein anderer es tat. Er schlurfte durch die Stube. Er kaute noch immer. Das Hemd schlabberte über seiner Hose und die Haare hingen ihm kitzelnd im Nacken und wollten ganz und gar noch nicht sitzen an diesem freien Tag. Er bot keine sehr ernstzunehmende Erscheinung, aber das war ihm egal. Er hatte frei und gute Laune.
Aber seine gute Laune verflog, als er die Haustür öffnete. Der Osterbrotmatsch wollte ihm im Halse stecken bleiben, als er sah, wer da auf der Schwelle stand.
„Verzeihen Sie die Störung am Feiertag ... ähm ...“
Caspar folgte dem Blick, den sie über seine unvollendete Tagesgarderobe wandern ließ, und stopfte mit flüchtigen Handbewegungen sein Hemd in die Hose. Sie klang anders an diesem Ostermontag, weniger „Treuentzien“ als an den üblichen Montagen.
„Ich kann eigentlich auch morgen wiederkommen.“ Sie wollte schon wieder umdrehen, da hielt er sie auf.
„Nein. Was ist los?“
Sie besann sich einen Moment. „Ich wollte mit Ihrem Vater sprechen, bevor Sie den Leinewebstuhl für die nächste Woche bespannen.“
„Da hätten Sie Gründonnerstag kommen sollen.“ Der Osterbrotklumpen ließ sich nicht so leicht runterschlucken, wenn man plötzlich keinerlei Spucke mehr im Munde hatte.
„Oh ... äh. Das wusste ich nicht. Vielleicht könnte ich trotzdem mit Ihrem Vater ...“ Ihr Gesicht war blass, aber vielleicht erschien das nur so wegen der gelblich-grauen Regenwolken, die tief hingen an diesem Tag. „Ich komme nicht in perniziöser Absicht und möchte wirklich niemanden stören. Nur einen kurzen Moment der Unterredung, wenn es der Kontemplation dieser Stunde keinen Abbruch tut.“
„Klar.“ Die immer mit ihren Worten! Caspar musterte sie teils amüsiert, teils skeptisch. Er öffnete die Tür zur Gänze und trat einen Schritt beiseite, um das Fräulein einzulassen. Als sie an ihm vorüberging, nahm er ihren süßen Duft wahr. Lavendel oder Veilchen oder Rose, vielleicht aber auch alles zusammen. Er kannte sich nicht mit Blumen aus, aber Luisa Treuentzien duftete immer nach irgendwelchen Blumen. Sein Blick blieb ungläubig an ihrer Hutgarnitur hängen – Knöpfe! Knöpfe, die nichts zusammenhielten und auch keinen anderen Zweck hatten, als einfach nur da zu sein. Caspar musste willkürlich grinsen, was das Fräulein bemerkte. So plötzlich sie sich zu ihm umdrehte, so plötzlich wischte er sich das Grinsen vom Gesicht und – Herr im Himmel! – diese Augen! Diese hellen Augen, die jetzt glitzerten wie die hellbraunen polierten Hornringe, mit denen Sophie oft spielte. Er würde es nie zugeben, aber er hatte sich gewünscht, sie wiederzusehen.
„Also, wenn Sie Ihren Vater herausbitten würden. Ich möchte wirklich nicht stören.“
„Ich kann Sie doch nicht im Flur stehen lassen, Fräulein Treuentzien.“
Sie runzelte die Stirn über
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