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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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zu erhalten, wie viele mehrfädige Abstufungen zwischen dem kett- und dem schussbindigen Gewebe ein solches Muster benötigte, wie vieler gegenbindiger Abbindungen es bedurfte, wie viele Schnurbündel sie würden einlesen müssen, wie lange es dauern mochte, bis sie die Hörnerschnüre mit den Schaftlitzen verknüpft haben würden und wie lange sie schließlich zu weben hatten, um Luisa Treuentziens Gesicht in Atlas zu binden.
    „In welcher Gütestufe?“, murmelte Caspar zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor – er war nicht einverstanden damit, was sein Vater und die Treuentzien da ausbaldowerten.
    „Superfein! Fertigstellung zu Mariä Himmelfahrt.“
    „Vergessen Sie’s!“, blaffte er. Es gab sieben Qualitätsstufen. Von ordinär bis superfein. Superfein schaffte er nicht bis zum fünfzehnten August, da konnte das Fräulein Polka auf dem Tisch tanzen oder sonst was!
    „Das wird knapp“, überlegte sein Vater mit Milde in der Stimme. „Sehen Sie“, er blinzelte Luisa Treuentzien an, als sei sie blöd. Caspar fuhr sich über die Augen. „Eine so fein strukturierte Bindung – ich würde sagen vierstufige Bindung?“ Er wandte sich an Caspar, der nickte. „Bei wie viel Schäften?“, fragte sein Vater weiter. Caspar hasste es, wenn sein Vater ihn vor Publikum auf die Probe stellte. Er war doch kein kleiner Junge mehr! „Acht.“
    „Würd ich auch sagen. So was dauert – bis September mindestens.“
    „Nein, das geht nicht. Ich brauche es in knapp vier Monaten. Und zwar superfein.“
    „Und Sie weichen nicht davon ab, nicht wahr?“ Zwischen seinem Vater und der Treuentzien ging etwas vor, das Caspar nicht begriff. Die schlossen einen Pakt, unterzeichnet mit seinem Blut. Sein Vater streckte ihr die Hand über dem Tisch entgegen, in die sie einschlug. Caspar bedeckte seine Augen mit der flachen Rechten. Er konnte es einfach nicht fassen!
    Hätte er seine Augen nicht bedeckt, hätte er sie lächeln sehen können.
     

     
    Ihrer Schwester Josephine, der nichts entging, weil sie so neugierig war, fiel zuerst auf, dass die gold durchzogenen Pantoffeln, die Luisa von Matthias Kollmar zur Verlobung geschenkt bekommen hatte, nicht mehr im großen Schrank lagen. „Und ich könnte schwören, dass ich sie in der Auslage des Krämers Jakobi gesehen habe.“
    „Sei nicht albern.“ Luisa beobachtete Josephine, die ihr Haar bürstete, und das schon seit einer Viertelstunde. Luisa hatte dem Kaufmann das Versprechen abgenommen, die Pantoffeln direkt weiterzuvertreiben und sie nicht auszustellen. Der hatte sich wohl nicht daran gehalten. „Du hast dich geirrt.“ Oberflächlich, wie ihre Schwester nun einmal war, äußerte sich Josephine nicht mehr dazu und sprach Luisa auch nicht wieder auf die Schuhe an.
    Es war Frühling, keine Frage, denn Luisa begann das erste Mal seit Monaten auf dem Weg zur Kirche zu schwitzen. Luisa beobachtete Matthias Kollmar, der, hoch gewachsen, breitschultrig und in einem tadellosen Sonntagsanzug, verborgen unter einem polnischen Rock, neben ihrem Vater her marschierte und ihm alles Mögliche über Steine erzählte. Armer Papa. Der interessierte sich so sehr für Steine wie sie für Stickereien.
    Ihr Blick haftete einen Moment an Matthias’ schneeweißem Vatermörderkragen, der wohl schrecklich am Unterkiefer rieb, und wanderte weiter zu seinem dunkelbraunen Nackenhaar, das ebenmäßig geschnitten unter dem schwarzen Zylinder hervorlugte. Ihr Gemüt rebellierte gegen so viel Makellosigkeit. Er musste ihre Blicke bemerkt haben, denn unverhofft schaute er sich nach ihr um. Ihm entfleuchte ein Lächeln, das nichts anderes wollte, als erwidert zu werden. Er war ein lieber Kerl, überlegte Luisa schuldbewusst, ein lieber hübscher Kerl, der keine Ahnung hatte, was mit seinen goldenen Pantoffeln geschehen war.
    Sie näherten sich der Kirche, auf deren Vorplatz bereits reges Treiben herrschte. Unwillkürlich ließ Luisa ihren Blick zu jener Ecke des Platzes schweifen, wo sich für gewöhnlich die Weber versammelten. Luisa verlangsamte ihren Schritt und fiel zurück, als sie Friedrich Weber und seine Familie erspähte.
    Ihre interessierten Beobachtungen wurden bemerkt. Es war wohl die kleine, immer hellwache und achtsame Sophie Weber, der Luisas bohrende Blicke zuerst aufgefallen waren. Die Zurufe des Friedrich Weber waren nicht zu überhören. Luisa bemühte sich, ihre Familie im Auge zu behalten, während sie sich Meister Weber näherte. Die Treuentziens und Kollmars waren so sehr ins

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