Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Garten. Spannungsgeladenes Schweigen senkte sich über uns. Schließlich drehte er sich wieder um und sagte leise: »Ich war damals dreizehn Jahre alt und diente einem Schreiber als Lehrling – einer von Hunderten junger Burschen mit flinken Fingern, der nach oben wollte. Ich kam herum, ich war geschickt, und ich verstand es, die Ohren offen und den Mund geschlossen zu halten. So hörte ich oft sehr viel mehr, als mein Äußeres hätte vermuten lassen.« Er lächelte mich matt an. »Ich war Euch nicht unähnlich – sorgfältig, mit guten Absichten, begierig meinen Vorteil suchend. Als ich das Gerücht vernahm, erschien es mir wie ein Zeichen der Zeit, dass die eigene Schwester des Königs ganz allein gestorben war, nach Monaten der Isolation auf ihrem Gut in Westhorpe, wo sie angeblich schreckliche Ängste ausgestanden hatte, Anne Boleyn könnte ihr Geheimnis aufdecken.«
Die Kälte kroch mir bis in die Blutbahnen. Stokes ’ Worte dröhnten wieder durch meinen Kopf.
Sie war verrückt vor Angst. Sie flehte ihre Tochter an, das Geheimnis zu wahren …
»Welches Geheimnis?«, fragte ich mit fast unhörbarer Stimme.
»Dass sie schwanger war, natürlich. Ihr dürft nicht vergessen, dass viele tatsächlich glaubten, Anne Boleyn hätte den König verhext. Sie war eine Frau mit starkem Willen und festen Meinungen. Das gemeine Volk verabscheute sie; die meisten Adeligen nicht minder. Sie hatte Katharina von Aragón vernichtet und damit gedroht, Henrys leibliche Tochter, Mary, aufs Schafott zu schicken. Weil Henry so sehr in sie vernarrt war, waren einige seiner ältesten Freunde in Ungnade gefallen oder geköpft worden. Anne Boleyn hatte ihre ganze Zukunft auf den Umstand gesetzt, dass die erste Ehe des Königs ungültig gewesen sei und er keinen legitimen Erben hätte. Aber solange sie ihm keinen gebar, waren die Kinder seiner Schwester die ersten Anwärter auf den Thron.«
»Und Mary von Suffolk hasste Anne Boleyn …«, hörte ich mich sagen.
»Allerdings. Sie war über Henrys Bruch mit Rom entsetzt und blieb eine treue Verbündete von Königin Katharina, die zwar unter Hausarrest stand, aber immer noch sehr viel Lebenskraft zeigte. Mary Tudor hatte bereits zwei Söhne und zwei Töchter zur Welt gebracht. Jedes lebende Kind von ihr stellte eine Bedrohung dar, aber eines, das in diesen heiklen Monaten geboren wurde, in denen Anne ihres erwartete – nun ja, sagen wir, sie hatte gute Gründe, Annes Feindschaft zu fürchten. Das war die Ursache, warum sie sich vom Hof fernhielt. Oder die Ausrede, von der sie hoffte, dass alle sie glauben würden.«
Meine Hände hingen schlaff herab, die Dolchspitze zeigte zu Boden.
»Und dann ist sie gestorben«, sagte ich tonlos.
»Laut dem Gerücht, das ich gehört habe, ist sie kurz nach der Geburt ihres Kindes gestorben. Sie hatte ihre Schwangerschaft vor der ganzen Welt verborgen, angeblich aus Furcht, von Anne vergiftet zu werden. Ihre Beerdigung fand in aller Eile und Stille statt. Henry zeigte keine große Trauer. Er und mit ihm der ganze Hof war zu aufgeregt wegen der bevorstehenden Niederkunft der Königin. Und als Elizabeth das Licht der Welt erblickte, wusste kaum noch jemand, dass Mary von Suffolk je existiert hatte. In den nächsten drei Jahren heiratete ihr Witwer, Charles Brandon, ein Mann mit einem starken Selbsterhaltungstrieb, sein minderjähriges Mündel und zeugte zwei Söhne mit ihr, bevor er selbst verstarb. Mittlerweile hatte Anne Boleyn ihr Ende auf dem Schafott gefunden und Henry Jane Seymour, seine dritte Frau, gefunden und verloren, aber immerhin Edward, den lange ersehnten Sohn, von ihr bekommen. Danach heiratete der König natürlich noch drei weitere Male. In unserer Welt wird nichts so schnell vergessen wie die Toten.«
»Und Marys letztes Kind?«, fragte ich mit belegter Stimme. »Was ist aus ihm geworden?«
»Manche sagen, es sei eine Totgeburt gewesen, andere glauben, es sei gemäß der Bitte der sterbenden Mutter versteckt worden. Jedenfalls hat Charles Suffolk es nie erwähnt – was er sicher getan hätte, wenn er von ihm gewusst hätte. Der Sohn von Mary ist ein Jahr nach ihr gestorben. So waren da nur noch die Töchter.«
»Also wäre er über einen weiteren Sohn froh gewesen …?«
Cecil nickte. »Allerdings. Doch vor dem Ableben seiner Frau war er die meiste Zeit im Ausland, und wie es heißt, stand die Ehe zwischen ihm und Mary unter keinem guten Stern. Suffolk unterstützte die Bestrebungen des Königs, sich Katharinas zu entledigen
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