Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
nun der Latino-Verschnitt bei Kasimir seinen dumpfen Verdacht gegen Alfred Seichtem geäußert hatte, da fühlte sich der Kommissar verpflichtet, etwas für seine alten Bekannten zu tun.
Ali amüsierte die Analyse, und so unverwundbar, wie er sich momentan fühlte, wollte er etwas Witziges wagen.
»Wie dem auch sei, Herr Kasimir Kreuzer jr., ich jedenfalls kann als der unheimliche Killer unmöglich in Frage kommen. Wissen Sie auch, warum? Ich habe kein Motiv!«
»Doch, Sie haben eins!« sagte der Kommissar trocken.
»Sie wollten einen Menschen malen, den Sie eigenhändig umgebracht haben. Das hätte Ihnen einen besonderen Kick versetzt und Ihre Rolle als der Totenmaler vollendet.«
Genial, in der Tat! Darauf wäre Ali nie gekommen. Völliger Schwachsinn zwar, doch selbst ein Sachbuchautor spektakulärer Mordfälle hätte keine faszinierendere Theorie ersinnen können. Er brach nur deshalb nicht in schallendes Gelächter aus, weil der Mann am anderen Ende der Leitung wieder eine todernste Pause einlegte.
»Das war ein Scherz!« sagte Kasimir jr. schließlich und erlöste Ali von dessen kurzfristiger Beklemmung.
»Ja, ich hatte auch schon gerade meine Gesichtsmuskeln in die richtige Position gerückt, um loszuprusten. Haben Sie noch mehr solche Scherze auf Lager, oder wollen Sie jetzt endlich mit Ihrem Verhör beginnen?«
»Entschuldigung, wenn ich etwas zu weit gegangen sein sollte, Herr Seichtem. Und von einem Verhör kann ja gar keine Rede sein. Ich habe mir eher ein unverbindliches Treffen vorgestellt, bei dem Sie mir den fraglichen Abend möglichst ausführlich schildern. Wenn Sie mich für meine Albernheit wirklich bestrafen wollen, sagen Sie jetzt, daß Sie dafür ins Präsidium kommen wollen. Ich würde Ihnen nämlich viel lieber selbst einen Besuch abstatten. Selbstverständlich nicht aus uneigennützigen Motiven: Was spielt es für eine Rolle, ob die Signatur eines Seichtem auf einem Gemälde oder auf meinem Hemd prunkt. Sie verstehen?«
Sie verständigten sich auf »irgendwann die nächsten Tage«, möglichst am späten Abend. Das mit dem Abend war Alis Idee gewesen. D enn so wie er Kreuzers Wolf-im- Schafspelz-Persönlichkeit einschätzte, würde der es sich bestimmt nicht nehmen lassen, während des Gesprächs das Haus, insbesondere aber den Garten ein bißchen unter die Lupe zu nehmen. Ali wollte ihm nicht auch noch den Gefallen erweisen, den ominösen Hügel am Ende des Gartens im hellsten Sonnenschein zu präsentieren, wie es ihm bei Anton Wachs passiert war.
Der letzte Zwischenfall schließlich berührte Ali eher seltsam, als daß er sich davon wirklich bedroht gefühlt hätte. Eines Nachts, es mußte schon ein Uhr vorbei sein, saß er wie gewöhnlich vor seiner Staffelei und schwang den Pinsel fieberhaft, als sei die Malerei eine olympische Disziplin. Doch plötzlich fühlte er seine Kräfte erlahmen. Kein Wunder, hinter ihm lagen sechzehn Arbeitsstunden, vielleicht sogar mehr. Er ließ widerwillig von der Leinwand ab und rieb sich mit beiden Händen die Stirn. Hätte er in einen Spiegel geblickt, hätte ihm daraus das Gesicht eines Galeerensklaven angestarrt: eine zerzauste Frisur, als wäre über seinem Kopf eine Haarspraydose explodiert, aufgedunsene Augenlider und eine Gesichtshaut, die sich farblich von der desjenigen auf dem Gemälde kein bißchen unterschied.
Er steckte sich eine letzte Gutenachtzigarette an, löschte alle Lichter und begab sich auf den Balkon im hinteren Teil des Hauses. Gleich würde er ins Schlafzimmer zu Ida kriechen. Obwohl so überarbeitet, daß der rechte Arm von einem Zitterkrampf heimgesucht wurde, spürte er den Stolz desjenigen, der wieder einmal alles gegeben hat. Die Gärten unter seinen Füßen waren finstere Teppiche in einem riesigen Basar ohne Teppichverkäufer. Der Halbmond tauchte gleich einem schüchternen Verehrer gelegentlich zwischen Wolkenlücken auf, lächelte sein mattes Silberlicht und verschwand wieder. Ali genoß die vollendete Stille, vor allem aber seine Müdigkeit, die ihn in ein paar Minuten in einen bleiernen Schlaf wiegen würde.
Da vernahm er Schreie. Sie kamen offenbar aus dem Garten des links gelegenen Nachbarhauses. Er beugte sich über die Brüstung und versuchte, in dem unübersichtlichen Gelände mit haushohen Akazien, wildwuchernden Gräsern und ineinandergewachsenen Büschen etwas zu erkennen. Er und Ida hatten, anders als zu Anton Wachs, zu diesem Nachbarn keinen Kontakt gepflegt. Sie wußten nur, daß der Nachbar eine
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