Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
viele Bewohner der Straße, entfernte Nachbarn, welche sie zwar in der Vorwelt zu einem viel späteren Zeitpunkt kennenlernen sollten, aber in ihrem Vorweltgedächtnis ja bereits kannten und deshalb einer Einladung für würdig befunden hatten. Seltsamerweise trugen die Männer in dieser Gruppe alle bis zum Kragen zugeknöpfte Jacketts. Die Tatsache, daß sie zur Party eines Künstlers eingeladen worden waren, schien sie nicht davon abgehalten zu haben, sich wie zur goldenen Hochzeit ihrer Großeltern zu kleiden. Daneben wirkten die anderen Gäste, allen voran Hardy, wie Ensemblemitglieder eines Zirkus. Eigentlich bestanden diese vorwiegend aus Idas Freundinnen und deren jeweiliger Begleitung. Ali besaß ja kaum Freunde, und seine wenigen Kneipenbekanntschaften, die jetzt hier waren, kamen aus derart minderbemittelten Verhältnissen, daß sie in dem ganzen von Porzellangebissen funkelnden Trubel sowohl von ihrem Outfit als auch Benehmen her wie Hilfskräfte des Partyservice wirkten.
Während Ali den Klängen von »Senza una donna« von Zucchero und Paul Young lauschte, schlenderte er aus der Küche und überließ es dem sich zum Büfett drängenden Volk, mit der Peinlichkeit namens Hardy Link fertig zu werden. Dieser schüttete im Hintergrund immer noch seine Unflätigkeiten über die Gastgeber aus, was sich nach deftigen Scherzen eines Betrunkenen anhören sollte, in Wahrheit jedoch nichts anderes als schlecht kaschierte Mißgunst war. Er war schon halbbetrunken zur Tür hereingekommen, schnell durch alle Räumlichkeiten gegangen, wobei er in Anbetracht der ganzen Pracht witzigerweise immer wieder so getan hatte, als müsse er sich übergeben, und dann schnurstracks zur Bar in der Küche geeilt. Irgendwann war er auf den Tisch geklettert, hatte sich seiner schwarzen Cordjacke entledigt, das Hemd halb aufgeknöpft, so daß der haarige Globusbauch wie ein obszönes Teil zum Vorschein kam, und damit begonnen, seine berühmt-berüchtigte Hardy-Show abzuziehen.
Die Musik plätscherte aus dem Eßzimmer durch das ganze Haus, wo alle Möbel dicht an die Wände gerückt worden waren, um eine Tanzfläche zu schaffen. Der auf Schmusesound spezialisierte Discjockey hatte hier sein Mischpult und riesige Lautsprecher aufgebaut. Er lächelte bei seiner Schallplattenakrobatik so selig drein, als genieße er die Wonnen eines Valiumzäpfchens. Aber auch die Gäste schienen nicht weniger wonnetrunken. Damen in ihren hübschesten Kostümen mit fast bis zum Bauchnabel ausgeschnittenen Dekoll eté s, in Panth è re-und-Bvlgari- Wolken gehüllt, ihre Gesichter auf bourdeauxrote Kußmünder reduziert, prosteten Ali zu. Einige unter ihnen blinzelten ihm sogar in eindeutiger Weise zu. Männer mit Tellerchen voller Meeresfrüchte in der Hand klopften ihm auf die Schulter. »Fabelhaftes Haus! Gleicht ein wenig meiner Hütte in Essex«, sagten sie oder: »Der Weg nach Monaco ist wohl vorgezeichnet!«
Ali wandelte im Nebel der Zufriedenheit und wie in Zeitlupe durch sein in dämmriges Licht getauchtes, von zuccherosüßer Musik berieseltes und von glücklichen Bewunderern bevölkertes Reich, in der Gewißheit, daß sich die Dinge ab nun zum Guten, genauer gesagt, zum Normalen wenden würden. Er war nur leicht betrunken. Zwei Gläser Weißwein. Dabei würde es auch bleiben. Er hatte schon fast vergessen, was sich seit dem 27. März alles zugetragen hatte. Und wenn es ihm wieder einfiel, was selten geschah, so redete er sich ein, daß es Bilder eines Fiebertraums wären. In dieser Hinsicht war er inzwischen ein wahrer David Copperfield geworden: Er konnte unerwünschte Erinnerungen einfach wegzaubern.
Als sollte diese Taktik auch noch belohnt werden, machte er bei seiner Runde ein paar willkommene Beobachtungen. Zunächst entdeckte er im Wohnzimmer Anton Wachs. Er saß auf dem schwarzen Le -Corbusier- Sofa wie erwartet zwischen zwei atemberaubenden und durch den Segen des Silikons noch atemberaubender gewordenen Blondinen, die er mitgebracht hatte. Mit dem pokalgroßen Cognacglas in der einen Hand, das er gemächlich schwenkte, der knüppeldicken Davidoff in der anderen und der wuchtigen Alain-Mikli-Brille auf der Nase wirkte er trotz seiner Greisenphysiognomie wie ein quietschfideler Playboy. Es hätte ein Schnappschuß aus einem Gesellschaftsmagazin sein können. Der einzige Schönheitsfehler bestand darin, daß auch er ein zugeknöpftes, an der rechten Seite stark ausgebeultes Jackett trug, was ihm eine äußerst unbequeme Haltung aufzwang.
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