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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Rest jedoch verschwommen blieb. Ali hatte seine Identität absichtlich verschleiert. Er würde auch später nicht verraten, um wessen Gesicht es sich hier handelte. Und er wußte auch, daß das nicht das einzige Bild mit diesem Motiv bleiben würde. Er hatte beschlossen, daraus einen ganzen Zyklus zu machen. Die gleiche Szene aus unterschiedlichen Perspektiven, mit unterschiedlichem Bildaufbau und unterschiedlicher Farbgebung.
    Seichtem steckte sich eine Zigarette an, ging zum Fenster, öffnete es und setzte sich mit angewinkelten Beinen auf die Bank. Er ließ den Blick über die Straße schweifen, die in der Abenddämmerung wie mit Kupfer ausgelegt glühte. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlte er sich wieder rundum zufrieden, ja, empfand Glück. Auch das einsilbige Verhältnis zu Ida erschien ihm auf einmal weniger dramatisch und kein Anlaß zu Grübeleien. Er sah unter sich die Gasse und die verschnörkelte Tür zwischen den Häusern herausragen, etwas verschattet zwar, doch trotzdem in allen Einzelheiten erkennbar. Der magische Durchlaß sah jetzt aus wie jeder beliebige Weg und die Tür ebenso. Vielleicht hatte er alles nur geträumt. Vielleicht hatte sein Leidensweg gar nicht stattgefunden, und die bestialischen Taten, um ihn wieder ungeschehen zu machen, schon gar nicht. Vielleicht war er tatsächlich der erst zweiunddreißigjährige Ali, der junge Künstler im Zenit seiner Karriere, der mit seiner lebenslustigen Frau dieses Traumhaus bezogen hatte. Und vielleicht hatte es das Jahr 2001 noch gar nicht gegeben, den traurigen Ali, jeden Tag abgefüllt mit Wodka, in sein schmutziges Kissen weinend, ruiniert und dem Selbstmord nahe. Und es hatte auch nie eine traurige Ida gegeben, die mit den blutigen Messern und dem kleinen Sohn im Himmel. 2001 war nur eine Theorie, eine noch zehn Jahre währende Theorie, und falls diese Theorie irgendwann doch einmal Wirklichkeit werden sollte, so würde diese wundervoll sein.
    Ali merkte, wie sich inmitten des Wohlbehagens ein Riß auftat. Er wußte sehr wohl, daß es kein Traum gewesen war, daß er und Ida das damalige Glück in ihrer falschen Gegenwart nur imitierten und daß es keinen Weg zurück zum echten Glück mehr gab. Doch es schien ratsam, solchen schwarzen Gedanken nicht nachzuhängen, weil sich dann die Risse immer nur weiter vermehrten. Er wollte seine Imitation des Glücks noch ein Weilchen genießen und lenkte den Blick mit aller Wissenskraft von der Damalstür weg. Ein alter Bekannter half ihm bei dieser Übung. Er sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite den »amtlichen Waldschrat« seinen Vorgarten betreten. Den hatte er ja ganz vergessen! Nun kam er ihm gar nicht mehr wie sein Lieblingsfeind vor, sondern wie ein alter Kriegskamerad, der gerade zur rechten Zeit gekommen war, um über nette Erinnerungen zu plaudern. Natürlich nur im Geiste.
    Er war dicklich, halb ergraut, soweit man dieses Eigenschaftswort auf Leute, die mehr Glatze als Haare besaßen, überhaupt anwenden konnte, trug eine Nickelbrille und dazu ein absonderliches Kostüm. Das heißt, das Kostüm selbst war gar nicht absonderlich, nur der Umstand, daß der Waldschrat es trug: Der Mann steckte im Anzug eines katholischen Priesters. Ganz in Schwarz und mit dieser runden weißen Halskrause, die ein wenig über den Hemdkragen hinauslugte. Komisch, Ali hatte immer angenommen, daß der Kerl in der Lokalpolitik tätig wäre. Aber wahrscheinlich hatte er da etwas durcheinandergebracht, weil Priester sich heutzutage immer mehr für soziale und politische Dinge engagierten und an vorderster Front marschierten, wenn es gegen irgend etwas zu protestieren galt.
    Blieb nur ein Problem: Soweit er wußte, besaß der amtliche Waldschrat vier Kinder, wenn nicht sogar fünf. Und wenn der Papst zwischenzeitlich nicht einen revolutionären Erlaß verkündet haben sollte, so galt seines Wissens nach immer noch, daß katholische Priester zölibatär zu leben hatten und nicht heiraten durften und schon gar nicht Kinder zeugen. Wie paßte das zusammen? Lief sein Lieblingsfeind aus Jux in Priesterkluft herum? Oder hatte er, Ali, die Sache mit der kinderreichen Familie im Öko-Look ihm damals nur angedichtet, um ihn für sich selbst noch unsympathischer zu machen?
    Plötzlich hob der amtliche Waldschrat den Kopf und schaute Ali unverwandt an. Er stand mitten im Garten, und bis jetzt hatte es so ausgesehen, als schätze er den Arbeitsaufwand für das Jäten des Unkrauts ab. Sein kalter Blick hinter den

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