Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Name für einen Polizisten!
»Sie wünschen?«
Keine Spur von Beklommenheit in seiner Stimme, keine Aufgeregtheit und kein aushorchendes Mißtrauen. Er fühlte sich plötzlich wie ein Seiltänzer, der zwar eine riskante Strecke vor sich hat, jedoch im Bewußtsein an die tägliche Routine und das harte Training felsenfest davon überzeugt ist, das Ziel unversehrt zu erreichen.
»Nichts, was diesen Anruf wirklich rechtfertigen würde, Herr Seichtem. Es geht nur um ein paar ungeklärte Fragen. Doch zunächst möchte ich mich als glühender Bewunderer Ihrer Kunst bekennen, übrigens auch als einer der ganz frühen. Ihre Bilder sind für mich das, was für den Naturfreund die unberührten Regenwälder sind. Natürlich kann ich mir keines davon leisten. Trotzdem bin ich Ihr Fan Nummer eins, wenn Sie so wollen. Kein Wunder, ist doch der Gegenstand unserer beiden Berufe derselbe.«
»Was meinen Sie damit?«
»Na, der Tod, Herr Seichtem, der Tod!«
»Könnten Sie vielleicht zur Sache kommen? Ich stecke gerade bis über beide Ohren in Arbeit.«
»Oh, Verzeihung. Dumm von mir, Ihre so knapp bemessene Zeit mit meinem Fangesülze zu verschwenden. Es dreht sich um die Angelegenheit Boris Bensch. Sie wissen schon.«
»Nein, weiß ich nicht. Wer ist das?«
»Er nannte sich Bibo.«
»Ach, Bibo, ja, ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Sein Freund oder Angestellter, oder wer auch immer dieser komische Vogel war, erzählte, daß er nach dem Umzug eine vergessene Leuchte zurückbringen wollte. Irgendwie ging er wohl dabei verloren. Aber wieso nannte ? Ist er tot?«
»Eigentlich nicht.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, wir hier in der Abteilung glauben, daß er tot ist. Einen Beweis dafür gibt es natürlich noch nicht.«
»Seit wann kümmert sich die Mordkommission um Vermißte?«
»Nun ja, Bibos Leben war ziemlich geordnet, überschaubar ist das bessere Wort, obwohl er nach außen hin eher wie ein Chaot wirkte. Nach Aussagen seiner Freunde, allesamt alte Bekannte von uns und allesamt harmlose Gesellen, besaß er keinerlei Grund, so ohne Vorwarnung abzutauchen. Der kleinen Firma ging es glänzend, und er hatte sich gerade frisch verliebt. Ich kenne ihn aus seinen früheren Punker-Zeiten. Verglichen zu damals führte er eine geradezu bürgerliche Existenz.«
»Menschen sind nicht immer das, was sie scheinen«, sagte Ali und dachte dabei eher an sich selbst. Allmählich hatte er das ungute Gefühl, daß auch Kasimir Kreuzer jr. das dachte.
»Sie sagen es. Aber ein Typ mit so einer wilden Vergangenheit bevorzug t nicht unbedingt die Ich-gehe- mal-schnell-Zigaretten-holen-Methode eines Spießers, wenn er seinem Leben eine Wendung geben und irgendwo anders wieder neu anfangen will. Wem war er auch schon Rechenschaft schuldig? Nein, wir sind der Ansicht, daß ihm etwas zugestoßen sein muß. Entweder auf dem Weg zu Ihnen oder nachdem er Sie verlassen hat.«
Netter Versuch, aber Ali dachte nicht daran, in diese plumpe Falle hineinzutappen.
»Hören Sie, ich habe diesem Kerl schon gesagt, daß Bibo in dieser Nacht nicht mehr bei mir gewesen war. Ergo kann er mich danach auch nicht verlassen haben.«
»Tja, das sind so die Fragen ...«, sagte Kasimir und machte eine bedeutsame Pause.
Ali dämmerte langsam, daß es sich hier mitnichten um eine Routineanfrage handelte, sondern daß man ihn konkret des Mordes verdächtigte. Das schien auf den ersten Blick widersinnig, von welcher Seite man die Sache auch betrachtete. Denn weshalb sollte die Polizei ausgerechnet einen bekannten und wohlhabenden Maler bezichtigen, einen Möbelpacker beseitigt zu haben? Er, Seichtem, war mehr oder weniger ein zufälliger Kunde des Opfers gewesen, das hatten sie bestimmt schon gründlich recherchiert. Es gab keine sonstige Verbindung zwischen ihnen. Was also sollte das? Bis auf die Kleinigkeit freilich, daß die Seichtems den guten Bibo tatsächlich umgebracht hatten, aber der Grund hierfür lag jenseits aller Vorstellungskraft. Es sei denn, Kasimir Kreuzer jr. war ein kriminalistisches Genie. Ali hatte eine andere Vermutung, und die wies eher in eine sentimentale Richtung. Als die »Vierer Bande« noch aus einem Haufen Dosenbier-Punks unter irgendwelchen Bahnunterführungen bestanden hatte, war Klein-Kasimir womöglich ein gewöhnlicher Streifenpolizist gewesen, der die Brüder gelegentlich zur Ordnung rief. Daraus war dann wohl eine Art Beziehung entstanden und im Lauf der Jahre von beiden Seiten zu echter Freundschaft verklärt worden. Und als
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