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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Brillengläsern, der Alis traf und nicht mehr loslassen wollte, ließ nun jedoch auf etwas anderes schließen. Er war hinausgekommen, um ihn auf seine Art zu begrüßen. Eine Weile starrten sich die beiden Männer unverwandt an. Keiner wich dem anderen aus. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, öffnete der amtliche Waldschrat dann den Mund und murmelte etwas, nein, er sprach es laut und deutlich aus. Doch Ali konnte ihn aus dieser Distanz nicht verstehen, so wie er dessen ganzes befremdliches Verhalten nicht verstehen konnte. Schauder der Unwirklichkeit überliefen seinen ganzen Körper wie Fieberschübe. Die Zigarette fiel ihm aus dem Mund und segelte auf die Straße. Ihm wurde schlagartig flau im Magen, und er fühlte sich, als bringe ihn ein Zauberer zum Schweben.
    Um dieses unheimliche Duell zu beenden, stieg er von der Fensterbank und verschloß schnell die Läden. Dann verließ er eilig das Atelier. Während er die Wendeltreppe hinunterstieg, redete er sich ein, daß ihn nur die Frage beschäftigte, was Ida sich wohl fürs Abendessen hatte einfallen lassen. Aber das war eine Lüge wie so vieles, was er sich in letzter Zeit einzureden versuchte. In Wahrheit ging in seinem Schädel etwas ganz anderes vor. Vor seinem geistigen Auge sah er den Mund seines Nachbarn vor sich und hörte die Worte, die ihm entströmten: »Erdlinge, ich bringe euch den Frieden!« Genau diesen vertrauten Spruch hatte er von den Lippen des Gaffers abgelesen, als er vorhin am Fenster gestanden hatte. Und er konnte sich nicht nur daran erinnern, sondern auch an den Geruch. Ja, während der Blickkontakt angedauert hatte, hatte er auch den altbekannten Verwesungsgestank wieder wahrgenommen, diesmal jedoch noch intensiver, noch widerwärtiger. Was auch immer es war, die Verwesung mußte inzwischen weiter fortgeschritten sein, das konnte er am Grad seines gestiegenen Abscheus feststellen.
    Ali versuchte die irritierenden Eindrücke mit seiner Realität in Einklang zu bringen, ihnen wenigstens Ansätze einer natürlichen Erklärung abzutrotzen. Aber es gelang ihm nicht, was er sich auch ausdachte und so sehr er sein Hirn auch manipulierte. Das Gesehene ergab einfach keinen Sinn. Irgendwann gab er auf. Er verstaute auch diese Episode in der Kiste der tausend Dunstbilder, die in der abgelegensten Kammer seines Ichs vor sich hinmoderte.
    Der nächste Zwischenfall ereignete sich, als er in seinem Atelier bereits an dem fünften Gemälde saß und aus dem Erdgeschoß Idas Rufen vernahm. Im Lauf der Tage hatte er sich in einen Arbeitsrausch hineingesteigert und nahm seine Umgebung nur noch wahr, wenn ihm vor Hunger schwindelig wurde oder wenn Ida ihn mit Gewalt dazu zwang, sich im Garten für eine halbe Stunde auszuruhen. Er malte sogar nachts, und oft war er am Ende derart erschöpft, daß ihm die Kraft fehlte, ins Schlafzimmer hinunterzusteigen, und er sich einfach im Atelier hinlegte. Er war von seinem morbiden Motiv so besessen, daß ihm immer neue Varianten der Umsetzung einfielen. Nichtsdestotrotz tat ihm die Arbeit gut, mehr noch, zum ersten Mal seit Jahren verspürte er das Gefühl zu leben.
    Und nun riß ihn Ida aus dieser wunderbaren Welt wieder heraus. Er legte Pinsel und Palette verärgert beiseite, ging zur Wendeltreppe und schaute über das Geländer hinweg abwärts. Ida wedelte im Berliner Zimmer mit dem Telefonhörer in der Hand: »Telefon!«
    Er lief mit zunehmendem Groll die Treppe hinunter und nahm ihr grunzend den Hörer ab. Eingeschnappt verschwand sie wieder in Richtung Garten.
    »Ja?«
    »Guten Tag, Herr Seichtem? Kasimir Kreuzer jr., mein Name.«
    Die Stimme eines jungen Mannes, angenehm, klar und von ansteckender Begeisterung. Obwohl Ali Leute mit diesen wichtigtuerischen Titeln allesamt für aufgeblasene Arschlöcher hielt und deren selbstherrliche Väter erst recht, schien der hier eine Ausnahme zu sein. Automatisch tauchte über seinem Kopf eine Bildblase auf. Darin sprach eine Kreuzung aus dreitage bärtigem Dressman für Sportcoupé -W erbespots und smartem Elite-Uni- Absolventen in ein Handy mit einer Million Funktionen hinein.
    »Mordkommission!« ergänzte Junior.
    Seltsamerweise ließ dieses Schreckenswort Ali völlig unberührt. Keine Alarmsirenen jaulten in seinem Kopf auf, kein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, und es setzte auch kein panischer Gedankengang ein, der vorsorglich Ausflüchte, sich halbwegs glaubhaft anhörende Lügen oder gar Fluchtpläne vorbereitete. Er dachte nur: Was für ein dämlicher

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