Die Tuer zur Zeit
Rick waren schon auf der Treppe.
Als sich die drei von Nestor das Kipptor der alten
Garage von Villa Argo öffnen ließen, war es fast
schon sechs Uhr. Quietschend schwang es auf
und gab den Blick auf einen verstaubten Raum frei, den
eine einsam von der Decke hängende Glühbirne nur notdürftig erleuchtete. Einen großen Teil des Platzes nahm
ein mit einem weißen Laken abgedecktes Auto ein. Es
war ein Oldtimer, ein Fiat Spider aus den Fünfzigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts.
»Fährt er noch?«, wollte Rick wissen, der das Laken
neugierig gelüftet hatte.
»Ich glaube nicht. Es ist schon so viele Jahre her, seit
wir ihn das letzte Mal angelassen haben«, antwortete
Nestor, während er um den Sportwagen herumging, um
irgendetwas im hinteren Teil der Garage zu suchen. Dann
wechselte er das Thema. »Hier sind sie ja«, grummelte er,
nachdem er unter einem anderen Laken zwei aneinanderlehnende alte Fahrräder zum Vorschein gebracht hatte.
»Ich wusste doch, dass wir sie behalten haben. Los, holt
sie mal hier raus.«
Rick packte den Lenker des ersten Rads, Jason übernahm das zweite. Hintereinander schoben sie sie aus der
Garage.
»Iiihh!«, machte Rick, als er sie draußen bei Licht sah.
Es waren zwei veraltete Modelle ohne Gangschaltung
und mit einem massiven schwarzen Rahmen aus Gusseisen.
»Die Schläuche müssten noch in Ordnung sein«,
sagte Nestor und reichte ihnen eine Luftpumpe. »Mit etwas Muskelschmalz könnt ihr sie wieder fahrtüchtig
machen.«
Dann gab er ihnen noch ein Ölkännchen und einen
mit Lösungsmittel getränkten Lappen.
»Nehmt das für die Bremsen und die Kette. Erst mit
dem Lappen den Staub abwischen, dann ölen, dann wieder
abwischen, bis alle Teile zufrieden schnurren. Spart nicht
mit dem Öl. Eine Kette, die nicht rund läuft, reißt.«
»Kommen wir damit wirklich bis ins Dorf?«, fragte
Jason, der an der Fahrtüchtigkeit der beiden alten Räder
zweifelte. »Da wiegt ja jedes mindestens zehn Zentner!«
»Natürlich«, antwortete der Gärtner. »Sie sind alt,
aber stabil. Ob ihr damit allerdings auch wieder zurückkommt, hängt von eurer Lunge ab. Und von euren Beinen. Ulysses Moore und seine Frau waren jedenfalls
immer mit ihnen zufrieden.«
Rick drehte eines der Räder um, sodass es auf Lenker
und Sattel stand, und fing an die Reifen aufzupumpen.
Nestor warf ihm einen anerkennenden Blick zu: Er
mochte Menschen, die praktisch dachten. »Wozu wollt
ihr eigentlich um diese Zeit nach Kilmore Cove hinunter?«, erkundigte er sich.
Jasons Gesicht wurde starr, wie immer, wenn er sich
eine Lüge ausdachte. Dann wollte er etwas sagen, doch er
brachte nur unverständliches Zeug heraus.
»Ach, ist ja auch egal. Wichtig ist, dass ihr auf euch aufpasst«, ermahnte Nestor sie. »Und seid zum Abendessen
zurück, ja? Eure Eltern haben mich gebeten, euch etwas zu essen zu machen und ich habe keine Lust, umsonst zu
kochen.« Dann ging er und ließ sie mit den Fahrrädern
alleine.
Eine Viertelstunde später bestiegen Jason und Rick die
beiden betagten Drahtesel. Julia bekam Ricks Fahrrad,
das leichter und angenehmer zu fahren war. Sie stellte
sich den Sattel ein und war nun zur Abfahrt bereit.
Sie verabschiedeten sich vom Gärtner, schoben die
Räder auf die Auffahrt und bogen dann in die Straße auf
den Klippen ein, die direkt nach Kilmore Cove hinunterführte.
Julia überholte Jason und Rick mit wehendem Haar
und fuhr mit einem Freudenschrei in die erste Serpentinenkurve hinein. Jason protestierte laut, während sich
Rick umdrehte, um Nestor ein letztes Mal zuzuwinken.
Der alte Gärtner beschattete die Augen mit der Hand
und sah ihnen nach, bis sie in der Kurve verschwunden
waren. »Wer weiß«, murmelte er leise vor sich hin, »wer
weiß, ob es den Kindern gelingen wird.«
Die Abfahrt war berauschend: Die Fahrräder rollten
immer schneller und nach jeder Kurve boten sich den
dreien neue Ausblicke auf die Landschaft. Kilmore Cove
war eine Ansammlung niedriger, bunt gestrichener Häuser und lag auf der geschützten Seite der Bucht. Mehrere
aus dem Hinterland kommende Straßen mündeten im
rechten Winkel in die Küstenstraße ein.
Wie an jedem Samstag waren viele Autos unterwegs,
deren Besitzer nach einem Parkplatz am Hafen suchten,
und auf der Promenade gingen Scharen von Touristen
spazieren.
Julia kam als Erste an, stieg von Ricks Rad ab und
lehnte es an ein Straßenschild, das davor warnte, allzu
nahe am Strand zu
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