Die Türme der Mitternacht
hinaus. Bashere fluchte und eilte an das Fenster, die anderen drängten sich um ihn, mehrere holten Ferngläser heraus.
Was ist denn jetzt?, dachte Ituralde, stand trotz seiner Müdigkeit auf und eilte ebenfalls ans Fenster. Was können sie denn jetzt noch herbeigeschafft haben? Noch mehr Draghkar? Schattenhunde?
Er schaute hinaus, und jemand reichte ihm ein Fernglas. Er nahm es, und wie vermutet stand das Gebäude hoch genug, um über die Stadtmauer auf das dahinter befindliche Schlachtfeld und weiter zu sehen. Auf den Türmen auf dem Hügelkamm drängten sich Horden von Raben. Durch das Fernglas entdeckte er Massen aus Trollocs, die das Oberlager, Türme und Bollwerke hielten.
Hinter dem Hügel strömte eine ungeheure Streitmacht Trollocs durch den Pass, mehrfach so groß wie die Anzahl, die Maradon angegriffen hatte. Der Strom der Ungeheuer schien nicht enden zu wollen.
»Wir müssen gehen«, sagte Bashere und senkte das Fernglas. »Sofort.«
»Beim Licht!«, flüsterte Ituralde. »Sollte diese Streitmacht an uns vorbeikommen, wird es in Saldaea, Andor oder Arad Doman nichts geben, das sie aufhalten kann. Bitte sagt mir, dass der Lord Drache wie versprochen mit den Seanchanern Frieden geschlossen hat?«
»Wie in so vielen anderen Dingen habe ich darin versagt«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihnen.
Ituralde fuhr herum. Ein hochgewachsener Mann mit rotem Haar betrat den Raum - ein Mann, bei dem Ituralde trotz der bekannten Gesichtszüge das Gefühl hatte, ihm nie zuvor begegnet zu sein.
Rand al’Thor hatte sich verändert.
Der Wiedergeborene Drachen zeigte dasselbe Selbstvertrauen und die gleiche aufrechte Haltung, die Ausstrahlung, die Gehorsam verlangte. Und trotzdem erschien alles irgendwie anders. Wie er dort stand, ohne dieses allgegenwärtige Misstrauen. Wie er Ituralde voller Sorge musterte.
Diese kalten und gefühllosen Augen hatten Ituralde einst davon überzeugt, diesem Mann zu folgen. Auch diese Augen hatten sich verändert. Seinerzeit hatte der General keine Weisheit in ihnen entdecken können.
Sei kein dummer Narr, rief sich Ituralde zurecht, du kannst nicht beurteilen, ob ein Mann weise ist, indem du ihm in die Augen siehst!
Und doch konnte er es.
»Rodel Ituralde«, sagte al’Thor, trat vor und legte Ituralde die Hand auf den Arm. »Ich habe Euch und Eure Männer angesichts eines überlegenen Gegners im Stich gelassen. Bitte verzeiht mir.«
»Ich traf diese Wahl selbst«, erwiderte Ituralde. Seltsamerweise fühlte er sich weniger müde als noch Augenblicke zuvor.
»Ich habe Eure Männer inspiziert«, fuhr al’Thor fort. »Es sind so wenige von ihnen übrig, und sie haben Schlimmes durchgemacht. Wie habt Ihr diese Stadt halten können? Ihr habt ein wahres Wunder vollbracht.«
»Ich tat, was getan werden musste.«
»Ihr müsst viele Freunde verloren haben.«
»Ich … ja.« Welche andere Antwort konnte es da geben? Das als Lappalie zu verwerfen hätte sie alle entehrt. »Wakeda fiel heute. Rajabi… nun, ihn erwischte ein Draghkar. Ankaer. Er hielt bis heute Nachmittag durch. Er konnte nie herausfinden, warum dieser Trompeter das Signal zu früh gab. Rossin untersuchte es ebenfalls. Er ist auch tot.«
»Wir müssen aus dieser Stadt heraus«, sagte Bashere drängend. »Es tut mir leid, Mann. Maradon ist verloren.«
»Nein«, sagte al’Thor leise. »Der Schatten wird diese Stadt nicht bekommen. Nicht nach allem, was diese Männer taten, um sie zu halten. Das erlaube ich nicht.«
»Eine ehrenhafte Haltung«, sagte Bashere, »aber wir können nicht…« Er verstummte, als al’Thor ihn ansah.
Diese Augen. So durchdringend. Sie schienen beinahe in Flammen zu stehen. »Sie werden diese Stadt nicht bekommen, Bashere«, sagte al’Thor mit einem Hauch Zorn in der ruhigen Stimme. Er winkte, und ein Wegetor zerriss die Luft. Plötzlich war der Lärm der Trommeln und der brüllenden Trollocs viel näher. »Ich bin es müde, ihn mein Volk verletzen zu lassen. Zieht Eure Soldaten zurück.«
Und al’Thor trat durch das Tor. Zwei Töchter der Aiel eilten in den Raum, und er ließ das Tor lange genug geöffnet, damit sie hinter ihm herspringen konnten. Dann ließ er es verschwinden.
Bashere sah aus, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Sein Mund stand halb geöffnet. »Dieser Mann sei verflucht«, stieß er schließlich hervor und wandte sich wieder dem Fenster zu. »Ich dachte, er würde so etwas nicht mehr tun!«
Ituralde gesellte sich zu Bashere, hob das Fernglas und schaute zu der
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