Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
danach dem Regierungsrat vorlegte. »… und so, meine Herren«, an diese Worte erinnerte sie sich nur zu genau, »ist es möglich, durch eine Umstellung des bereits bestehenden Transitbands zwischen zwei- und dreihundert Pfund Materie mit absoluter Genauigkeit an jeden beliebigen Punkt dieser Erdkugel zu befördern.«
    Das dritte, das sie entdeckt hatte …
    Doch zuerst zu ihrem Verstand. Es war ein brillanter, scharfer, mathematischer Verstand. Einmal waren ihr, neben fünfzig anderen Mathematikern und Physikern, drei Seiten mit Strahlungsdaten ausgehändigt worden. Sie sollten irgendwie einen Weg um, unter oder über diese Strahlung finden. Sie hatten die drei Seiten drei Minuten betrachtet (nachdem sie sie eine halbe Woche einfach zur Seite gelegt hatte, weil sie vorzog, an ihrem eigenen Lieblingsprojekt zu arbeiten) und erklärt, daß die Strahlung künstlicher Natur war und von einem einzigen Projektor erzeugt wurde, der ohne weiteres zerstört werden konnte. Und damit hatte sie das Problem gelöst. Kurz gesagt, ihr Verstand war von der Art, die sich einen Weg durch einen Informationswust zur richtigen Antwort grub, selbst wenn die Frage falsch gestellt war.
    … sie hatte dieses dritte entdeckt, als man sie – nachdem sie ihre Arbeit an subtrigonometrischen Umkehrfunktionen abgeliefert hatte – einer kleinen Unterabteilung eines streng geheimen Regierungsprojekts zuteilte. Man sagte ihr nicht, was dieses Projekt war, noch die Wichtigkeit ihrer Arbeit daran, aber ihr Verstand, der von diesem Bruchstück extrapolierte, beschäftigte sich mit diesem Rätsel. Es war Teil eines ungemein komplexen Computers, dessen Zweck es sein mußte – sein mußte …!
    Ihr Oberkörper zuckte hoch, und sie atmete fast keuchend in der Dunkelheit. Als sie diese Entdeckung gemacht hatte, verschwand sie.
    Am einfachsten war die unbedeutende Änderung ihres Namens. Am schwierigsten war es, ihren Vater dazu zu überreden, ihr dieses Apartment zu gestatten. Und dazwischen lag die sorgfältige Vernichtung einiger Regierungsunterlagen: alle Kopien ihrer Arbeitsverträge, die Aufzeichnung ihres Retinamusters, das seit ihrer Geburt vorlag. Sie rechnete damit, daß man sie in den allgemeinen Kriegswirren nicht aufspüren würde. Nachdem sie sich in ihren zwei kleinen Zimmern eingerichtet hatte, begann sie methodisch, ihren unvorstellbar scharfen Verstand abzustumpfen. Es gelang ihr für immer längere Zeitspannen, ihren Büchern fernzubleiben. Sie versuchte, die Kriegspropaganda zu ignorieren, mit der man die Stadt überschwemmte, und so wenig Entscheidungen wie nur möglich zu treffen. Wenn ihr auch das Abstumpfen nicht glückte, schaffte sie es zumindest, sich in einem Zustand der Benommenheit zu halten, der dasselbe Ergebnis hatte. Sie dachte viel an den Verstorbenen und wenig an subtrigonometrische Umkehrfunktionen, und wenn ihre Gedanken sich diesem dritten auch nur näherten, ließ sie sich sofort etwas anderes einfallen und bemühte sich, nicht zu schreien, sondern sich stumm und still zu verhalten.
    Ein Plakat, das sie einmal von einer Litfaßsäule gerissen hatte, lag zerknüllt auf ihrem Schreibtisch. Scharlachrote Buchstaben auf grünem Papier brüllten hinaus:
    WIR HABEN EINEN FEIND JENSEITS DER BARRIERE
    Clea zog sich den Bademantel über, trat an den Schreibtisch und griff nach dem Plakat. Doch plötzlich drehte sie sich um und zog sich in der Dunkelheit an, ehe sie die Treppe hinunterrannte. An der Haustür versuchte Dr. Wental ins Haus zu gelangen. Als sie die Tür für ihn öffnete, grinste er sie an, kratzte sein schütteres Haar und taumelte gegen den Türrahmen.
    »Dr. Wental!« rief Clea. »Fehlt Ihnen etwas?«
    »Schnaps«, brummte er. »Reden Sie nicht so laut, wir müssen leise hinauf, daß meine Frau mich nicht hört.« Sein ausgestreckter Arm tapste schwer nach Cleas Schulter, und er sackte gegen sie, als seine Knie nachgaben. »Prima Schnaps, Miß Rahsok. Helfen Sie mir bitte hinauf? Leise!«
    Clea seufzte und stützte Dr. Wental. »Damit meine Frau mich nicht hört«, wiederholte er. »Oh, dieser Krieg ist etwas Schreckliches. Wir haben einen Feind jenseits der Barriere, aber was er uns hier in Toromon antut …« Er schüttelte den Kopf. »Man ist gezwungen schwer zu arbeiten, um an die besseren Dinge im Leben heranzukommen. Aber es ist gar nicht leicht. Manchmal muß man sich ganz einfach gehenlassen.« Beim Wort »gehen« rutschte er zwei der sechs bereits mühsam erklommenen Stufen wieder hinunter.
    Clea

Weitere Kostenlose Bücher