Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Türme von Toron

Die Türme von Toron

Titel: Die Türme von Toron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
Schulter. »Komm zurück in die Kaserne mit mir, Junge. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.«
    »Eine Geschichte? Worüber?«
    »Über einen entsprungenen Strafgefangenen.«
    Sie schlenderten zur Rampe, die sie zurück in Kasernenhöhe bringen würde. »Ich lebte ganz in der Nähe des Straflagers, Tel. Nicht alle der Waldmenschen werden zur Bewachung der Minen eingesetzt, aber die Chance war hoch, wenn man ganz in der Nähe aufwuchs. Man teilte uns in Trupps und Kompanien auf, und wir stellten tatsächlich eine kleine Armee dar. Weiter entfernt sind die Stämme der Wächter weniger streng organisiert, aber die am Waldrand führen ein ziemlich militärisches Leben. Unser Zugführer war ein recht stiller Wächter mit drei Narben über Wange und Hals.
    Während wir ums Lagerfeuer saßen, stand Roq – das war sein Name – gewöhnlich gegen einen Baum gelehnt und hielt Wache. An dem Tag, von dem ich jetzt spreche, war es gerade dunkel geworden, und die Stöcke, an denen wir unser Fleisch gebraten hatten, lehnten noch fettglänzend an den Steinen um das Feuer. Ich spürte bereits den Regen in der Luft über den unbewegten Blättern.
    Dann brach ein Ast, die Blätter streiften gegeneinander, und Larta kam auf die Lichtung. Larta war Leutnant in Frols Zug, der etwa zwei Kilometer entfernt Patrouille im Wald zog. Auch Larta hatte die drei Narben. Sie schob den schwarzen Pelz über ihre Schulter zurück, daß er vom Feuer orange zu glühen schien. Schweigend unterhielt sie sich etwa zehn Sekunden mit Roq, dann sprachen sie laut, damit auch wir wüßten, worum es ging. ›Wann werden sie aus der Mine auszubrechen versuchen?‹ fragte sie. ›Kurz vor der Dämmerung‹, erwiderte Roq.
    Wir lauschten natürlich alle gespannt.
    ›Wie viele werden die Flucht versuchen?‹ fragte Roq.
    ›Drei‹, antwortete Larta. ›Ein alter Mann, der seit vierzehn Jahren im Straflager ist. Er hinkt, weil sein rechtes Bein bei dem Mineneinsturz vor fünf Jahren zerquetscht wurde. Der Haß brennt wie geschliffener Rubin hinter seinen Augen. Er kauert neben dem Wachhaus und rollt eine Gerte zwischen den Fingern, während er wartet. Er versucht, nicht an sein schmerzendes Bein zu denken. Er fühlt sich sehr alt. Neben ihm ist der Vierschrötige. Sein Gehirn ist wie Eisen und Quecksilber. Er ist sich seines Körpers übermäßig bewußt. Er denkt an den Fettwulst, der über seinen Hosengurt quillt, an die Sommersprossen im Gesicht. Er hat eine Blinddarmnarbe, an die denkt er jetzt, und flüchtig sieht er die weißen Wände des Humanmedizingebäudes. Er hat sich immer bemüht, als freundlich und anpassungsfähig zu gelten. Aber die Entschlossenheit, mit der er an diesem Ausbruch arbeitete – der Schmutz unter seinen Nägeln ist noch feucht; er erinnert sich, wie man ihn fast erwischt hätte, als er den Tunnel mit Löffeln und Schuhen und Händen ausbuddelte, um wenigstens bis zum Wachhaus zu gelangen –, diese Entschlossenheit ist unerschütterlich. Der dritte, er ist der jüngste der drei, mit der schwarzen Mähne und den melancholischen Augen, kauert hinter den beiden anderen. Stellt euch ein stilles Wasser vor und dann etwas Blendendes, das daraus hervorschießt, eine Energieklinge, deren Strahl sich in der jetzt schwach kräuselnden Oberfläche spiegelt, so bricht die Idee der Freiheit aus diesem jungen und arroganten Geist.‹ Während Larta sprach, fielen die ersten sanften Regentropfen durch die Nacht.
    Roq fuhr nun statt Larta fort. ›Sie drücken sich enger aneinander. Eine Schnur ist über die Treppe am Eingang des Wachhauses gespannt. Die Wache für die Rückseite des Gebäudes kommt immer hier heraus, kurz ehe die für die Vorderseite durch den Ausgang zum Wald hinausgeht. Der erste Wächter wird über die Schnur stolpern und aufschreien. Der Wächter an der Vorderseite wird angelaufen kommen, um festzustellen, was passiert ist. Dann werden die drei über den beleuchteten Streifen zu den Bäumen laufen.
    Quecksilber-und-Eisen hat es so geplant. Der brennende Rubin hat einen Knoten der Schnur geknüpft, die Energieklinge den anderen. Sie warten, allein mit ihrem schweren Atem und dem dünnen Regen.‹
    Wir blieben still sitzen und warteten ebenfalls. Larta kehrte zu ihrem Zug zurück.
    Das ist die Geschichte«, sagte Ptorn. »Der Rest gehört eigentlich nicht mehr dazu. Ich meine die Flucht etwa, wie sie den ersten Wächter aufschreien hörten; wie sie über den beleuchteten Streifen hetzten; wie sie zwischen den Bäumen

Weitere Kostenlose Bücher