Die Tulpe des Bösen
einfach.« Van der Zyl lächelte leicht, als bereite schon der Gedanke an das Ziel seiner Bruderschaft ihm innere Befriedigung. »Die Wohlmeinenden wollen die Republik der Vereinigten Niederlande vor dem Untergang bewahren!«
»Durch Erpressung, Entführung und wer weiß was noch alles für verbrecherische Machenschaften? Ihr scheint den Mund reichlich voll zu nehmen, van der Zyl.«
»Aber Ihr wißt doch, welche Gefahr unserem Land droht! Der Sonnenkönig und seine Verbündeten werden es überrennen. Wir müssen handeln, bevor es zu spät ist.«
»Was habt Ihr vor, eine eigene Armee aufstellen?«
»Im Gegenteil, wir werden eine Armee vernichten, unsere eigene.«
Katoen starrte den Amtsrichter entgeistert an. »Ihr redet irre!«
»Ihr begreift es immer noch nicht. Wir dürfen es gar nicht erst zum Krieg kommen lassen, sonst ist unser Land im Kampf gegen eine Übermacht verloren. Soll alles, was unsere Väter und Großväter so mühsam aufgebaut haben, zerstört werden?«
»Aber wenn wir uns nicht zum Kampf stellen, werden wir einfach überrannt. Dann sind die Niederlande erst recht verloren.«
»Falsch. Unsere Bruderschaft steht in Verhandlungen mit den Franzosen. Wenn wir dafür sorgen, daß sie auf keine nennenswerte Gegenwehr treffen, wird alles weitgehend friedlich ablaufen. Gewiß, ausländische Truppen werden bei uns einmarschieren, aber ohne Kampf und Zerstörung. Die Aufgabe der fremden Soldaten wird lediglich darin bestehen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, so lange, bis wir selbst wieder dazu in der Lage sind. Und dazu wiederum werden tatkräftige Männer gebraucht. Männer wie Ihr, Jeremias. Wenn ich einen hohen Posten in der neuen Regierung bekleide, könntet Ihr hier in Amsterdam auf meinem Stuhl Platz nehmen. Amtsrichter Jeremias Katoen, hört sich das nicht verlockend an?«
Katoen erinnerte sich, daß Catrijn an ihrem gemeinsamen Abend auf Volewijk etwas Ähnliches gesagt hatte, und erst jetzt verstand er die Zusammenhänge. Sie hatte auf die Verschwörung angespielt, in die ihr Bruder maßgeblich verwickelt war, und das bedeutete: Catrijn war entweder in alles eingeweiht oder zumindest grob über die Machenschaften ihres Bruders im Bilde. Als er daran dachte, wie sie sich auf Volewijk einander leidenschaftlich hingegeben hatten, fühlte er sich ausgenutzt. Hatte Nicolaas van der Zyl ihn als Spinne bezeichnet, die im eigenen Netz gefangen sei? Das Bild stimmte nicht. Katoen kam sich eher vor wie eine hilflose Fliege. Das klebrige Netz, in dem er hing, hatten andere gesponnen, der Amtsrichter und seine ebenso betörende wie berechnende Schwester.
»Was sagt Ihr zu meinem Vorschlag, Jeremias?« fragte van der Zyl in seine sich überschlagenden Gedanken hinein. »Wollt Ihr Seite an Seite mit mir dafür eintreten, daß die Niederlande auch in Zukunft ein blühendes Gemeinwesen sein werden?«
»Durch die Vernichtung der eigenen Armee?« fragte Katoen zurück. »Wie wollt Ihr das bewerkstelligen?«
»Die Tulpe des Bösen, Jeremias! Denkt an die Tulpe des Bösen!«
Nicht allein wegen der immer noch rasenden Kopfschmerzen brauchte Katoen lange, um zu einer Antwort zu finden. Im Verlauf der Unterhaltung waren seine Gedanken klarer und flüssiger geworden, und das war auch nötig angesichts der beispiellosen Eröffnungen, die Nicolaas van der Zyl ihm machte. Aber das, was der Amtsrichter jetzt andeutete, überstieg alles Bisherige dermaßen, daß Katoens Verstand sich schlichtweg weigerte, es als Tatsache anzuerkennen. Er starrte van der Zyl an und fragte sich, ob das wirklich der Mann war, mit dem er über so viele Jahre hinweg zusammengearbeitet hatte. Der weithin geachtete Richter, der sich immer bemüht hatte, ein gerechtes Urteil zu fällen. Meinte er wirklich ernst, was er da andeutete? Und wenn ja, war er dann ein Verbrecher oder ein Wahnsinniger?
»Das kann nicht Euer Ernst sein«, brachte Katoen schließlich stockend hervor. »Ihr wollt eine ganze Armee töten, Zehntausende von Soldaten?«
»Nicht ich, sie werden es selbst tun, unter dem Einfluß der Tulpe, auf die der Kreuzfahrer Guillaume de Vailly durch Zufall gestoßen ist.«
»Es bleibt sich doch wohl gleich, ob Ihr selbst Hand anlegt oder ob Ihr die Männer mittels der Tulpe in den Tod treibt!« schrie Katoen.
Er war dabei, seine Fassung zu verlieren, aber dazu durfte es nicht kommen. Nur ein kühler Kopf konnte ihm jetzt helfen. Er dachte noch einmal über van der Zyls Plan nach, und bei genauerer Betrachtung erschien ihm die Sache
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