Die Tulpe des Bösen
Balthasar de Koning den Brief unter Antonius Swildens’ Tür durchgeschoben hat. Nachdem Euer erster Mord so unerwartet wenig Aufsehen erregt hatte, wolltet Ihr sicherstellen, daß es mit dem zweiten anders wird – und hattet Erfolg. Ihr müßt auch Catrijns Bruder und Paulus van Rosven bespitzelt haben. So habt Ihr herausbekommen oder geschlußfolgert, daß der Amtsrichter den jungen van Rosven für seine Ziele gewinnen wollte. Und damit hattet Ihr ein weiteres Opfer auserkoren.«
Ohne auf Katoens Worte einzugehen, sagte Hartig: »Beantwortet mir auch eine Frage, Katoen: Wie seid Ihr darauf gekommen, daß ich mich als Frau verkleidet habe?«
»Man hat den Bankier Balthasar de Koning kurz vor seiner Ermordung mit einer unbekannten Frau gesehen. Das wollte nicht in mein Bild von dem Fall passen, zumal ich mir nicht so recht vorstellen konnte, daß ein grober Klotz wie Ihr überzeugend eine Frau spielt. Am letzten Dienstag allerdings hat Nicolaas van der Zyl erwähnt, daß Ihr ein gescheiterter Schauspieler seid. Das hat mich neugierig gemacht, und ich habe den Haarlemer Magistrat in einem Brief um genauere Auskunft über Euch gebeten. Die Antwort, die heute mit der Post kam, ist sehr aufschlußreich. Ihr seid für Eure Bühnenauftritte in Haarlem gefeiert worden, besonders für Eure Frauenrollen. Allerdings habt Ihr Eure Karriere zerstört, indem Ihr der Frau Eures Impresarios nachgestiegen seid und Euch um keinen Preis abweisen lassen wolltet. Und dann ist es während einer Aufführung auf offener Bühne zum Streit gekommen, so heftig, daß Ihr aus Haarlem verbannt worden seid.«
»Rebecca hat mich geliebt«, sagte Hartig trotzig. »Sie wollte es nur nicht zugeben, weil sie sich vor ihrem Mann gefürchtet hat. Und der hat dafür gesorgt, daß ich an keinem anständigen Theater in den Niederlanden mehr auftreten kann.«
»Also habt Ihr auf Apotheker umgesattelt«, ergänzte Katoen. »Im Rückblick eine verhängnisvolle Entscheidung. Genauso verhängnisvoll wie Eure Neigung, Euch unsterblich in Frauen zu verlieben, die gar nichts von Euch wissen wollen.«
»Das ist nicht wahr!« schrie Hartig. »Rebecca und Catrijn haben mich beide geliebt.« Für eine kleine Ewigkeit heftete er seinen Blick auf die Tote neben sich, bevor er wieder Katoen ansah. »Ihr habt mir Catrijn genommen!«
Mit der Kraft eines Raubtiers, das seine Beute anspringt, stieß er sich vom Boden ab. Seine Beute war Katoen. Aber der war vorbereitet und wich zur Seite aus. Von seinem eigenen Schwung mitgerissen, prallte der Apotheker gegen die Wand, direkt unter dem Bild von Jakob und dem Engel.
Benommen drehte Hartig sich um. Er war zu langsam, um Katoens Fäuste abzublocken. Wieder und wieder landeten sie in seinem Gesicht, schwere Schläge, die seinen Kopf hin und her warfen. Seine Lippen platzten auf, dann die Brauen. Blut rann ihm über das Gesicht. Katoen aber schlug weiter zu, immer an Joris Kampen denkend, bis Hartig schwer atmend auf die Knie sackte und den Kopf hängen ließ.
Die rechte Faust zum erneuten Schlag erhoben, hielt Katoen inne und starrte auf den vor ihm knienden Mann, der sich in einem erbarmungswürdigen Zustand befand. Doch in seinen Augen hatte Pieter Hartig kein Erbarmen verdient.
Hartig hob den Kopf und murmelte mit seinen aufgeplatzten, blutigen Lippen: »Warum macht Ihr nicht weiter?«
»Damit Ihr mir nicht wegsterbt«, sagte Katoen kalt. »Glaubt nicht, ich hätte Mitleid mit Euch. Aber ich möchte mich nicht um das Vergnügen bringen, Euch auf Volewijk baumeln zu sehen. Das wird im Stück Eures Lebens der einzig angemessene letzte Akt sein.«
E PILOG (1)
D ONNERSTAG , 22. F EBRUAR 1672
D er Winter in seiner ganzen Strenge hatte sich von der holländischen Küste zurückgezogen. Die Dächer Amsterdams waren nicht länger weiß, die Wege nicht mehr rutschig, das Wasser in den Grachten nicht mehr gefroren. Noch eine Woche zuvor war Katoen mit Felix auf der Binnenamstel Schlittschuh gelaufen, jetzt schwammen dort wieder Schiffe und Boote. Der Winter hatte sich zurückgezogen, aber noch nicht verabschiedet. Es war feuchtkalt, der Himmel bleigrau und verhangen, etwas Unheilvolles schien in der Luft zu liegen. Katoen war in äußerst gedrückter Stimmung.
Solange er beschäftigt war, im Dienst oder während der Stunden, die er mit Felix verbrachte, ließ es sich aushalten. Aber fast jeden Abend trieb es ihn, wie jetzt, hinaus zum Hafen. Dann stand er hier, manchmal eine ganze Stunde oder länger, blickte hinaus
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