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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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eine Garküche, in der Katoen Brot, Ziegenkäse und kalten Braten bestellte, dazu ein Bier für sich und Ziegenmilch für Felix.
    Der Junge ließ es sich schmecken, während das Perlenbrett in Reichweite neben ihm auf dem Tisch lag. Für Katoen sah es so aus, als behielte er es ständig im Auge. Vielleicht war es sein erstes eigenes Spielzeug.
    Nachdem Felix eine Portion verdrückt hatte, die ausgereicht hätte, um einen erwachsenen Mann für den ganzen Tag zu sättigen, fragte Katoen ihn erneut, warum er aus dem Waisenhaus weggelaufen sei.
    Der Junge suchte lange nach geeigneten Worten. »Dort ist alles so streng. Es ist nicht schön da.«
    »Dazu ist ein Waisenhaus auch nicht da. Du hast ein Dach über dem Kopf, ein warmes Bett in der Nacht, Kleidung und genug zu essen.« Katoen grinste. »Auch wenn es hier sicher besser schmeckt.«
    »Ich hab keine Zeit für mich. Ihr kennt das nicht. Wir müssen immer nur lernen und arbeiten.«
    »Hattest du denn Zeit für dich, als du für den Kuppler gearbeitet hast?«
    Felix trank von der Ziegenmilch, die rund um seinen Mund einen weißen Bart hinterließ, und nickte. »Mehr als jetzt. Da war ich nicht immer nur in einem Haus eingesperrt.«
    »Du solltest froh sein, daß man sich so um dich kümmert.«
    Der Junge seufzte und wiederholte: »Ihr kennt das nicht.«
    »Doch«, erwiderte Katoen. »Ich kenne das. Auch ich habe ein paar Jahre in einem Waisenhaus zugebracht, nachdem mein Vater gestorben war. Er war Seemann, mußt du wissen, und hat unter Admiral Tromp gegen die Spanier gekämpft. Nachdem er in der Schlacht gegen die Zweite Spanische Armada gefallen war, kamen meine Schwester und ich ins Waisenhaus.«
    »Ihr habt wenigstens eine Schwester.«
    »Aber ich habe sie kaum gesehen. Damals gab es das große Waisenhaus an der Amstel, in das ich dich gebracht habe, noch nicht. Es war nicht so wie heute, daß Jungen und Mädchen im selben Haus wohnen.«
    »Hattet Ihr keine Mutter?«
    Katoens Züge verdüsterten sich. »Die war schon vorher von uns gegangen. Eine Nachbarin hat sich um meine Schwester und mich gekümmert, wenn unser Vater auf See war. Er hat ihr dafür Geld gegeben. Aber nach seinem Tod ging das nicht mehr, und so kamen wir ins Waisenhaus. Allerdings hat sich nach ein paar Jahren ein Bruder meines Vaters gemeldet, der in Utrecht lebte; der hat uns zu sich genommen.«
    »Warum erst so spät?«
    »Er hatte erst da von unserem Schicksal erfahren. Er und mein Vater hatten sich viele Jahre zuvor zerstritten und keinerlei Verbindung mehr unterhalten.«
    »Hm«, knurrte Felix unzufrieden. »Wie kann man sich mit seinem Bruder so streiten? Ich wäre froh, wenn ich einen hätte!«
    »Hast du denn gar niemanden, der zu dir gehört?«
    »Nein.« Felix senkte den Blick, als müsse er sich für seine Antwort schämen.
    »Was ist mit deinen Eltern, mit deiner Familie geschehen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Felix, der noch immer die Tischplatte anstarrte. »Ich kann mich an nichts erinnern. Von meiner Familie weiß ich nichts außer den Bildern, die ich manchmal sehe, wenn ich träume. Dann versuche ich, die Gesichter meines Vaters und meiner Mutter zu erkennen, aber es will mir nicht gelingen. Ich sehe nur verschwommene Gestalten, Tiere, Wagen und Zelte.«
    »Zelte?«
    »Ja. Zelte auf einer Waldlichtung. Dazwischen bewegen sich Menschen. Sie sitzen beisammen, tanzen, singen. Und plötzlich sind die Feuerreiter da …« Bei den letzten Worten hatte er begonnen zu zittern. »Sie kommen von allen Seiten, und dann steht das ganze Lager in Flammen!«
    »Und was dann?«
    »Das weiß ich nicht. Die Flammen haben alles verbrannt. Ich kann mich nur noch an später erinnern. Da war ich bei einem Schausteller und mußte mich immer zwischen dicht beieinanderstehenden Holzstäben hindurchwinden. Die Leute haben dafür bezahlt, das Schlangenkind zu sehen.«
    »Woher hast du diese Fähigkeit? Von deinen Eltern?«
    Jetzt erst sah Felix ihn wieder an, aber sein Blick war seltsam leer.
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts von damals.«
    »Quäl dich nicht weiter mit diesen Gedanken, Felix.« Katoen stutzte. »Ist es dir überhaupt recht, wenn ich Felix zu dir sage?«
    »Es gefällt mir. Endlich habe ich einen Namen.« Felix zierte sich etwas, bevor er weitersprach: »Darf ich bei Euch bleiben?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich möchte nicht zurück ins Waisenhaus.«
    »Das geht nicht«, sagte Katoen und sah sofort die Enttäuschung auf dem Gesicht des Jungen. »Ich lebe allein und

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