Die Ueberbuchte
offensichtliche Besserung bemerkte. Wenigstens war die grauenhafte Apathie weitgehend aus ihrem Gesicht gewichen. Auch wenn die Blässe und Mattigkeit noch nicht völlig verschwunden war, so bot ihr Anblick dennoch ein wesentlich freundlicheres Bild, was sie tief aufatmen ließ. Deshalb überschlug sich ihre Stimme auch fast vor lauter Erleichterung, als sie sagte: »Wie schön, wie froh bin ich, dich wieder lächeln zu sehen! Ich hatte ehrlich Angst, du könntest …«, sie brach plötzlich erschrocken ab.
»In ewige Trübsal versinken«, beendete Ruth den angefangenen Satz.
»Ja, so ähnlich«, nickte Lena.
»Nun, ganz so schlimm ist es Gott sei Dank noch nicht, obwohl ich zugeben muss, dass es genug Tage gab und noch immer gibt, wo ich völlig kraftlos am Boden liege. Ich kann dann weder aufstehen, noch irgendeinen klaren Gedanken fassen. Alles um mich herum versinkt in ein total graues Nichts – einer kalten, leblosen Leere, die nichts als Sinnlosigkeit verbreitet. Ein direkt furchtbarer Zustand, das kannst du mir glauben!«
»Aber warum hast du nicht schon früher darüber gesprochen? Eine kleine Andeutung hätte doch genügt?«
»Wozu? Du hättest mir ja in meinem Kummer auch nicht helfen können – das hätte niemand gekonnt, nicht einmal ein Arzt, denn Medikamente hatte ich genug.«
»Ja ja, ich weiß …«, seufzte Lena.
Ruth hatte sich gerade aufgerichtet, strich ihr wirres Haar zurück und sah bedauernd an sich herab. »Das schöne Kleid …« Doch sie lächelte dabei und das ließ hoffen.
Lena beobachtete sie schweigend.
Erschöpft lehnte sich Ruth zurück und sagte: »Es ist reichlich spät geworden – ich möchte nicht länger deine Zeit beanspruchen. Du hast schließlich noch etwas mehr zu tun, als einsame Witwen zu trösten.«
»Dann lass mich dich wenigstens noch zu Bett bringen«, bat Lena.
Und Ruth nickte.
Eine Woche war vergangen und Lena hatte ihr Versprechen, sich mehr um Ruth zu kümmern pflichtgetreu einzulösen versucht. Es verging kein Tag, wo sie nicht anrief oder sie gar besuchte. Nur heute hatte sie derart intensiv gearbeitet, dass sie dabei jegliche Zeit und Raum vergessen hatte. Sogar Essen und Trinken hatte sie versäumt. Derart verbissen, noch dazu an einem Stück, hatte sie schon lang nicht mehr gearbeitet – es flutschte nur so.
Endlich aber schob sie mit einem kräftigen Ruck den Stuhl zurück, so dass die Rollen quietschten.
Auf dem Weg zur Küche, klingelte plötzlich das Telefon. Es wird Ruth sein, dachte Lena und nahm den Hörer ab. »Hallo, Lena, meine allerliebste Lena, ich bin wieder zurück«, säuselte es an ihrem Ohr. Ihr Herz schlug aufgeregt bis zum Hals hinauf. Ihre Hand begann verdächtig zu zittern und wurde feucht. »Hallo, Lena, du sagst doch gar nichts?«, hörte sie die ihr so vertraute weiche Stimme ungeduldig fragen. Doch sie brachte kein Wort heraus, ihr Hals war wie zugeschnürt und der Mund trocken. Endlich hörte sie sich mit belegter fremden Stimme sagen: »Grüß dich, Knut …!« Sie stockte und versuchte mit der Zunge die trockenen Lippen zu befeuchten. »Ich – ich freue mich! – Du weißt gar nicht wie …!« Wiederum hielt sie kurz inne, um tief durchzuatmen, dann fragte sie: »Wann bist du angekommen?«
»Eben erst, mein Liebes. Ich habe dich zwar öfters anrufen wollen, aber meine Bedenken, du könntest es für zu aufdringlich halten, hielten mich immer wieder davon ab – na, du weißt schon …«
Nun hatte sich Lena weitestgehend gefasst, so dass ihre Stimme wesentlich ruhiger klang als sie antwortete: »Egal was du gedacht hast und was nicht, die Hauptsache du bist da und hast mich nicht vergessen.«
»Nanu, und das sagst ausgerechnet du?«
Sie hörte förmlich wie ihm der Atem stockte, und sich sogleich ihrer seltsamen Situation bewusst werdend, fügte sie rasch wie entschuldigend hinzu: »Ich meinte ja nur so …«
»Aha, du meintest nur so …«, äffte er sie lachend nach. »Mein Gott, Lena, warum kannst du mir nicht mal die kleinste Freude gönnen! Warum kannst du nicht einfach sagen: ich habe mich nach dir gesehnt. So wie ich mich nach dir gesehnt habe.«
Sie schwieg einen Augenblick wie benommen, dann flüsterte sie: »Was bist du nur für ein schrecklicher Mensch – natürlich habe ich mich nach dir gesehnt!« Um ein Haar hätte sie ihr Geständnis schon wieder bereut, wenn da nicht das wild klopfende Herz und das unbarmherzige Zittern ihrer Hände gewesen wären.
»Also mein Schatz, wann darf ich zu dir
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