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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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alles nichts zur Sache.«
    Es war nicht zu übersehen, wie sehr Durga in Wut geraten war, aber sie vermied es, mich anzublicken. Sie redete nach wie vor zum Fußboden.
    Â»Erzähl mir, worüber du zu Hause wütend geworden bist.«
    Â»Ãœber alles und jeden. Es war alles so sinnlos. In allem, was wir tun, sollte Freude und Glück und Schönheit sein … Aber in diesem Haus war nichts davon, vor allem, nachdem Sharda nicht mehr da war. Nichts, was einem etwas bedeuten konnte.«
    Â»Deine Mutter war wohl sehr religiös?«
    Â»Ja … schon, aber erst in letzter Zeit. Davor gab es für sie nur Partys und lange Nächte in Clubs. Doch dann haben sich ein paar schlimme Dinge zugetragen, und da hat sie entschieden, dass nur Gott ihre Wünsche erhören könne.«
    Â»Deine Brüder …«
    Â»Die Jungs. Ja, die Jungs. Ich war auch einer von ihnen. Aber als ich dann älter wurde, wollten sie mich nicht mehr um sich haben … Nachdem Sharda weg war, durfte ich überhaupt nirgendwo mehr hin, durfte überhaupt nichts mehr tun.«
    Ich war erleichtert, sie reden zu hören. Offenbar hatte der Anblick der Bücher, von etwas, das aus ihrem früheren Zuhause stammte, den Damm, hinter dem sie ihre Erinnerungen aufgestaut hatte, gebrochen.
    Â»Heute früh war Binny im Fernsehen.«
    Zum ersten Mal, seit ich sie kennen gelernt hatte, sah sie mich richtig neugierig an. »Echt? Hat sie ihre Tochter schon?«
    Â»Noch nicht … Aber woher weißt du, dass sie eine Tochter erwartet?«
    Durga starrte wieder zu Boden; sie schien meine Frage nicht gehört zu haben.
    Â»Mit Töchtern kann man schrecklichen Ärger kriegen. Du musst Binny sagen, dass sie sich vorsehen soll. Wusstest du, dass Manubhai aus Bihar stammt? Er hat bei sich auf der Farm ein paar Arbeiter aus Bihar. Er lässt auch seine Töchter auf der Farm schuften … und überhaupt.« Abrupt beendete sie ihren Satz. »Frag ihn doch mal, was er mit ihnen gemacht hat.«
    Danach verfiel sie in völliges Schweigen.
    Ich wollte sie unbedingt dazu bringen, weiterzuerzählen.
    Â»Binny hat mir gesagt, ich solle dich nach Rahul fragen.«
    Sie starrte auf den Fußboden.
    Â»Durga? Kannst du mir etwas über Rahul sagen?«
    Unser Gespräch steckte in einer Sackgasse. Ich nahm die Bücher und steckte sie zurück in meine Stofftragetasche.
    Als Durga aufstand, um zu gehen, hatte ich sonderbarerweise das Gefühl, dennoch einen Durchbruch erreicht zu haben, obwohl ich nicht so recht wusste, worin genau dieser bestand. Möglicherweise sollte ich doch noch einmal in das Haus gehen. Aber vorher musste ich mir ein Anfängerlehrbuch in Gurmukhi besorgen und versuchen, mich mit Durgas Hauslehrer zu treffen. Es war mir noch immer nicht gelungen, mit jemandem zu sprechen, der vor jener schrecklichen Nacht öfter mit ihr zusammen gewesen war.
    Im Gästehaus setzte ich mich mit einem kalten Bier, dem Gurmukhi-Lehrbuch und den Zetteln, die ich unter der Matratze gefunden hatte, an den Tisch. Ich steckte mir eine Zigarette an und breitete die Papiere vor mir aus. Dann vertiefte ich mich in das Alphabet in meinem Anfängerbuch. Ich schrieb die Schriftzeichen einige Male ab, damit sie mir wieder vertraut wurden. Dann blätterte ich in den Zetteln. Sie schienen aus einem linierten Notizbuch herausgerissen worden zu sein. Die Schrift wirkte sehr gekünstelt, war so verschnörkelt wie die, die ich vorhin in den Büchern gesehen hatte. Das hier hatte also Sharda geschrieben und nicht Durga. Über jeder Seite stand ein Titel. Dann fiel mir eine scheinbar eilig hingekritzelte Notiz am Rande eines der Bögen auf. Zum Glück gelang es mir, sie zu entziffern – wenn auch nur unter Mühen. Sharda war um fünf Uhr nachmittags mit jemandem verabredet gewesen.
    Ob dies einer ihrer Freunde gewesen war, von denen Amrinders Tochter gesprochen hatte? Oder hatte diese Notiz etwas mit ihrem Hauslehrer zu tun? Von Ramnath hatte ich ja erfahren, dass ein Lehrer, ein verheirateter Mann, ins Haus gekommen war, um die beiden Mädchen zu unterrichten. Ich wusste nicht, ob es an der Ordensschule der Jungfrau Maria auch männliche Lehrer gab; das musste ich herausfinden.
    Ich schwor mir, diese Papiere Ramnath zu übergeben (ebenso wie das Foto), doch erst, nachdem ich sie entschlüsselt hatte. Mit etwas Glück verrieten sie mir das Geheimnis hinter Shardas

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