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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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aus einem ganz anderen Grund zusammen und brachte im ersten Augenblick kein Wort hervor – er war ein atemberaubend schöner Mann mit grünen Augen, dunklem gewellten Haar, das er ein wenig länger trug, als es üblich war, und einem milden, versonnenen Gesichtsausdruck.
    Â»Ich möchte mich dafür entschuldigen, Sie warten gelassen zu haben«, begrüßte er mich höflich in wohlklingendem Punjabi-Indisch, das zu seinem versöhnlichen Gesichtsausdruck passte. »Ich war bei einem Schüler. Die bevorstehenden Abschlussprüfungen verursachen ziemliche Aufregung. Hat meine Gattin Ihnen etwas zu trinken angeboten? Was darf ich Ihnen bringen? Etwas Limonade oder lieber einen Tee?«
    Stotternd bat ich ihn, mir eine Limonade zu bringen. Der himmelweite Unterschied zwischen Harpreet Singh und seiner Frau hatte mich total umgehauen – das lag wohl daran, dass ich auf jemanden wie ihn einfach nicht vorbereitet gewesen war. Die Hauslehrer, die ich aus meiner eigenen Kindheit erinnerte, waren graue, geschlechtslose Wesen, die einem von übertrieben besorgten Eltern auf den Hals gehetzt worden waren. Diese Kreaturen kamen und gingen wieder, ohne irgendeinen Eindruck zu hinterlassen – abgesehen davon, dass sie mit einem Auge ständig nach der Uhr schielten und dass ihr Unterricht ziemlich strengen Prinzipien folgte. Meistens versuchte ich, mich unter dem Bett zu verstecken, oder täuschte Magenschmerzen vor, wenn ich die Fahrradklingel draußen vor der Tür hörte.
    Mit der Grausamkeit, wie sie Kindern so oft zu eigen ist, verschwendete ich keinen Gedanken darauf, dass sie auf diese Betätigung vielleicht angewiesen sein könnten. Mir ging es einzig und allein darum, wie sich die Unterrichtsstunden verkürzen ließen. Die Hauslehrer, die mich in Mathematik und Hindi schulen sollten, hatten gelbe Zähne und einen fauligen Atem. Es gab nur eine Möglichkeit, ihnen zu entgehen – nämlich, indem ich bessere Noten nach Hause brachte, und das tat ich. Und schon war ich meine Nachhilfelehrer ein für alle Mal los.
    Während er mich schweigend von seinem Sessel aus musterte, versuchte ich, mir ihn und Durga hinter geschlossener Tür in einem Zimmer vorzustellen, und der Gedanke verstörte mich.
    Irgendwas an der selbstsicheren Art und Weise, mit der er m ich ansah, hinderte mich daran, ihm in die Augen zu schauen. Er sah mich an, als gehöre er zur gleichen Kaste wie ich, und dabei war er doch nur ein armer, bedeutungsloser, niederer Hauslehrer, jemand, der kaum mehr als ein paar tausend Rupien im Monat verdienen dürfte. Meine Mutter gab regelmäßig solche Summen aus, wenn sie sich das Haar frisieren ließ. Nicht umsonst waren meine Gefühle bezüglich meiner Zugehörigkeit zu einer höheren Kaste mehr als ambivalent.
    Es lag keine Respektlosigkeit in seinem Blick, aber er war auch alles andere als unterwürfig, was mich irgendwie faszinierte, obwohl ich gleichzeitig spürte, dass ihm meine zunehmende Verwirrung nicht entging. Ich rang um die passenden Worte, mit denen ich das Gespräch eröffnen könnte.
    Â»Ich … ich nehme an, Sie wissen, warum ich hier bin?«
    Â»Ich habe in der Zeitung über Sie gelesen. Sie sind aus Delhi hergekommen, um an den Ermittlungen in Durgas Fall teilzuhaben.«
    Er lächelte ein wenig spöttisch.
    Ich wusste, was er dachte. Er war nicht so herablassend wie Ramnath, aber es interessierte ihn schon, wieso jemand wie ich sich bei Ermittlungen in einem Kriminalfall einspannen ließ. Ich beschloss, die ganze Sache leichthin abzutun, mich als in diesem Fall nur allzu entbehrlich darzustellen und damit ganz dem Bild zu entsprechen, das man sich von mir machte.
    Â»Was in den Zeitungen stand, entspricht in keiner Weise der Wahrheit. Ich bin keine Privatdetektivin. Ich bin lediglich eine noch ziemlich unerfahrene Sozialarbeiterin. Der Generalinspekteur der hiesigen Strafanstalten ist seinerzeit mit mir zusammen aufs College gegangen und glaubt daher irrtümlicherweise, ich könne in irgendeiner Weise hilfreich sein. Ich muss allerdings zugeben, dass ich in einer Sackgasse stecke. Ich bin mit Durga bisher nicht viel weitergekommen, sie redet kaum mit mir … deswegen bin ich hier.«
    Seine grünen Augen hatten eine beinahe hypnotische Wirkung. Ich merkte, dass ich zu schnell redete, zu viel auf einmal sagte und ihm keine Gelegenheit zu einer Erwiderung ließ. Ich holte tief

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