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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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Luft und presste meine Lippen zusammen. Er lächelte mir weiterhin zu, wie man einer Studentin zulächelt, der im mündlichen Examen gerade die Nerven durchzugehen drohen. Keine Angst, ich weiß, dass du es kannst . Auf eine ganz sonderbare Weise gab er mir das Gefühl, ziemlich klein und unbedeutend zu sein. Doch dann wechselte der Blick in seinen Augen von Amüsiertheit zu Schwermut.
    Â»Durga ist nie besonders gesprächig gewesen. Sie ist eher ein stiller Typ … aber sie ist zu sehr tiefen Empfindungen fähig. Sie ist ein Kind, dem sehr wehgetan worden ist, müssen Sie wissen.«
    Das war das erste Greifbare, das ich bis jetzt von irgendjemandem vernommen hatte. Ich sah ihn immer noch verblüfft an und ließ mir seine Äußerung auf der Zunge zergehen, als seine Frau hereinkam und uns Limonade servierte.
    Â»Setz dich doch, Sudha.« Während sie an seiner Seite Platz nahm, wandte er seinen Blick wieder mir zu. »Möchten Sie wissen, warum Sudha so aussieht? Sie sollte in ihrer ersten Ehe verbrannt werden, weil sie nicht genug Mitgift mitbrachte. Sudha, Durga … wir Inder können ein Lied davon singen, wie man eine Frau anständig behandelt. Dieses Kind … sollte nicht im Gefängnis sitzen.«
    Ich konnte seinem Gesicht ansehen, wie der Zorn in ihm aufstieg. Er hatte seine Sudha also trotz ihrer Narben und Verbrennungen geheiratet. Sollte ich mir gestatten, beeindruckt davon zu sein? Oder sollte es mich argwöhnisch machen? War er wirklich zu gut, um wahr zu sein? Ich hätte ihm für mein Leben gerne Glauben geschenkt, denn in der Welt, aus der ich kam, existierten solche Männer nicht. Und doch schrillten in meinen Ohren die Alarmglocken lauter als das Gehupe der Autos draußen auf der Straße. Ich rief mir Durgas Gesicht ins Gedächtnis. Ich stellte mir vor, wie sie mit diesem Mann zusammensaß und lernte. Wenn er auf ein so zynisches Biest wie mich, die Kavaliere nicht ausstehen konnte, eine solche Wirkung hatte, wie verhielt es sich dann erst bei einem jungen Mädchen? Warum hatte ihre erzkonservative Familie ausgerechnet ihn als Durgas Hauslehrer auserkoren? Das ergab alles irgendwie keinen Sinn. Irgendwo stimmte irgendwas nicht.
    Â»Ich will damit nicht sagen, dass sie zu jung für das Gefängnis ist oder so etwas«, fuhr er in ernsthaftem Ton fort und sah mich dabei mit genau der angemessenen Dosis Mitgefühl an, »vor allem nicht, falls sie wirklich jemanden umgebracht hat, was ich übrigens nicht glaube. Ich meine vielmehr, dass die Familien, die ihren Frauen so übel mitspielen, ganz einfach verdient haben, was ihnen widerfährt. Durga ist im Grunde genommen unschuldig. Um mich das zu fragen, sind Sie doch hergekommen, oder?«
    Â»Eigentlich …« Verdammt noch mal, ich stotterte immer noch wie eine Fünfjährige. Dieser Mann sah einfach viel zu gut aus, und es war noch etwas an ihm, was meine Aufmerksamkeit erweckte – oder vielleicht auch einen etwas tiefer liegenden Punkt meines Körpers. Es war lange her, dass ich mich so eigentümlich zu jemandem hingezogen gefühlt hatte. Ich merkte, wie ich rot wurde.
    Â»Ich … ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie mir etwas über die Familie sagen können. Es scheint hier nur wenige Leute zu geben, die Genaueres über die Atwals wissen … man hört nur Gemeinplätze … reiche Familie, sehr religiöse Eltern und so weiter. Aber es gibt so vieles, was ich noch nicht weiß. Hat Durga zum Beispiel ihre Eltern geliebt, stand sie ihnen nahe?«
    Harpreet Singh beugte sich vor, sein Gesichtsausdruck wurde noch angespannter. »Ist diese Frage ernst gemeint? Wir haben es hier mit einem vierzehnjährigen Mädchen zu tun. Sehr streng erzogen. Ihr ganzes Leben hat sich praktisch nur zwischen ihrem Elternhaus und der Schule abgespielt. Natürlich hat Durga ihre Eltern geliebt. Aber haben sie diese Liebe auch erwidert? Das ist es, was Sie versuchen müssen herauszufinden, wenn Sie es geschafft haben, dass sie mit Ihnen spricht.«
    Â»Haben Sie ihr regelmäßig Unterricht erteilt?«
    Â»Im Schnitt zwei Mal die Woche. Aber ich bin seit Jahren nicht mehr in dem Haus gewesen. Ich war hauptsächlich der Hauslehrer ihrer Schwester.«
    Er lehnte sich zurück, während ich diese neue Erkenntnis erst einmal verdauen musste.
    Â»Und was ist mit der Schwester geschehen?«
    Â»Wollen Sie mir erzählen, dass Ihr

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