Die Ueberlebende
schlieÃlich noch eine hilflose Minderjährige. Die Bullen in Indien machen es sich zu leicht. Sie haben sie eingesperrt, weil sie einfach keinen Verdächtigen haben, und sie bietet sich ja geradezu dafür an, den Kopf für alles hinzuhalten. Vielleicht finden wir irgendeine Gesetzeslücke. Wenn wir sie doch nur aus diesem Gefängnis rausbekommen und hierherbringen könnten! Durga hätte nie und nimmer ihre ganze Familie umbringen können. Obwohl sie das arme Ding so schlecht behandelt haben.
Pass auf dich auf,
Binny
7. KAPITEL
17. September 2007
Ich bekam zum ersten Mal richtig Angst, als Sharda mir sagte, ihre Periode wäre ausgeblieben. Bis dahin hatte ich immer gewusst, was zu tun war. Nach diesem Geständnis wusste ich keinen Ausweg mehr. Obwohl ich erst neun Jahre alt war, hatte man mir schon gesagt, was das bedeutete. Und ihr war ja dann auch die ganze Zeit übel. Ich wusste zwar nicht so ganz genau, wie es passiert war, aber ich freute mich doch für sie. Sie machte schon Pläne für ihre Heirat mit Jitu und verriet mir, dass sie bald mit ihm durchbrennen wolle. Wir haben auch Pläne geschmiedet, wie sie die Schule abschlieÃen und dann ein Wirtschaftscollege in Amerika besuchen würde. Sie war so gut darin, den Aktienmarkt zu beobachten, dass wir glaubten, sie würde es bald zur Millionärin bringen.
Es war sehr wichtig, finanziell unabhängig zu sein. Wir wussten, dass es am Anfang nicht leicht für die beiden sein würde, denn er war sehr arm, also würde sie ebenfalls arbeiten müssen. Das waren damals ein paar wenige wunderschöne Tage. Sie war so glücklich bei dem Gedanken, dass sie Mutter wurde. Wenn sie abends nach Hause kam, haben wir uns unter die Bettdecke gekuschelt und ich habe mich an ihre warmen Brüste geschmiegt. Diese waren zwar nicht mehr mein Alleinbesitz, aber wenigstens fand ich Trost in ihrer weichen Wärme.
Es wäre uns nicht im Traum eingefallen, dass sie das Baby abtreiben könnte, o nein. Es war wichtig, dass sie ihr neues Leben mit etwas Eigenem anfing. Das Baby gab ihr etwas, auf das sie sich freuen konnte. Aber dann setzte Jitu all ihren Träumen ein Ende, als er eines Tages zu uns kam und darauf bestand, dass sie auf der Stelle mit ihm fortging. Damals hatte sie fast eine Woche lang das Haus nicht verlassen. Und das war dann auch das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Danach hat auch niemand mehr ein Wort mit mir gesprochen, weil ich die Familie hintergangen hatte.
Eines Abends ist meine Mutter in mein Zimmer gekommen und hat mich ins Gesicht geschlagen, bis ich spürte, wie meine Haut ganz rot wurde. Ich sollte aber trotzdem weiter zur Schule gehen, auch mit den blauen Flecken. Als die Mutter Oberin mich fragte, wo ich die herhätte, habe ich gesagt, ich wäre eine Treppe hinuntergefallen. Ich hatte Angst, dass jemand zu Hause anruft, um das zu überprüfen. Aber zu Hause interessierte sich sowieso niemand mehr für mich.
Von Amla erfuhr ich, dass Sharda in einer Anstalt in Amritsar war, aber mehr auch nicht. Eines Tages kam Jitu mit Rahul nach Hause. Rahul war ein so süÃes Kind. Meine Mutter bestand darauf, ihn Guddi zu nennen. Sie hat ihn angezogen wie ein kleines Mädchen und ihm dauernd Puppen gekauft.
War das nicht ulkig? Wenn sie ihre Töchter bekam, wollte sie sie nicht haben, und jetzt, wo sie einen eigenen richtigen Jungen hatte, fürchtete sie sich so sehr, das vor der Welt zuzugeben, und tat so, als wäre er ein Mädchen. Ja, aber irgendwie war das alles andere als komisch. Niemand konnte darüber lachen, denn insgeheim wussten wir, dass Rahuls Kindheit ganz anders verlaufen würde, wenn Sharda noch da wäre.
Zu dieser Zeit fingen meine Brüder an, Rauschgift zu nehmen, und Manubhai holte seine »Töchter« ins Haus. Ich verbrachte jetzt meine ganze Zeit mit Rahul/Guddi. Ich wusste, dass er irgendwas mit Sharda zu tun hatte, aber ich wusste nicht, ob er tatsächlich Shardas Sohn war â und ich weià es bis heute nicht â oder einfach nur irgendein Kind, das meine Mutter ins Haus geholt hat, um es mit ihrer Liebe zu überschütten. Ich hatte ihr sowieso nie etwas bedeutet, und meine Brüder standen schon zu sehr auf eigenen FüÃen.
AuÃerdem war Ammis Liebe auch zu wertvoll, um an mich verschwendet zu werden. Nachdem die älteren Jungen nichts mehr von ihr wissen wollten, blieb Rahul ihre einzige Hoffnung. Aber die
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