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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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ich doch ein wenig pikiert. Mein Ego hatte einen Kratzer abbekommen. Wenn man mich mit den durchschnittlichen Bewohnern Jullundurs verglich, müsste ich ihnen als weitgereiste Exotin, als interessante Bereicherung ihrer eintönigen Abende durchaus willkommen sein – die allen Konventionen abholde Müßiggängerin, die sich gegen den Strom stellte, die Rebellin, von der sie hinterher mit Fug und Recht behaupten konnten, sie hätten gleich gewusst, »dass die hier bei uns nichts wird«.
    Doch augenscheinlich konnte nichts von all dem, was ich darstellte, die Angst vor Ansteckung besiegen. Ich war immer das wilde Mädchen und damit automatisch ein wenig verrufen. Nicht gerade jemand, die Anreiz schaffte, sie sich zu Hause zu seinen Swarovski-Kristallfiguren auf den Glastisch zu stellen, denn wer weiß – vielleicht brachte meine Verruchtheit ja Glas zum Zerspringen? Ramnath und Amrinder wollten offenbar auf Nummer sicher gehen und hielten mich tunlichst von ihren Wohnzimmern fern.
    Aber Amarjit? Das überraschte mich. Denn immerhin tat ich ihm ja schließlich einen Gefallen. Oder, besser gesagt, einen weiteren auf einer langen Liste von Gefallen, von denen er den einen oder anderen kaum vergessen haben dürfte. Ich erinnerte mich an eine Zeit, in der er Gedichte für mich geschrieben hatte. Wie tief sind die Helden gefallen – obwohl ich mich an die Gedichte wirklich lieber nicht mehr erinnern möchte!
    Allerdings hatte diese höfliche Distanz durchaus auch ihre Vorteile. Mir war wirklich nicht danach, meine Zeit mit Klatsch und Tratsch oder mit unerquicklichen Erinnerungen an meine Schulzeit zu verbringen. Zwischen mir und meinen Kameradinnen und Kameraden aus der Schule und dem College klaffte ein tiefer Spalt, und das wusste ich nur zu gut. Die Örtlichkeiten, an denen ich mich herumtrieb, schnitten mich für immer und alle Zeiten von ihrem Leben ab. Während sie sich über die neuesten Hollywoodfilme oder die Schnäppchen unterhalten wollten, die sie anlässlich ihrer jüngsten Auslandsreise bei Harrods gemacht hatten, waren Vorverurteilungen und die Langsamkeit, mit der die Mühlen des Gesetzes mahlten, mein Thema. Und wenn sie dann versucht hätten, mir, einer frustrierten alten Jungfer jenseits ihrer Blütejahre, die ihren Weltschmerz im Alkohol ertränkte und sich um Kinder, die ihr Leben hinter Gittern verbrachten, sorgte, auch noch mit gönnerhaften Sprüchen zu kommen, wäre es wohl zu einem endgültigen Zerwürfnis zwischen uns gekommen.
    Ich war nicht einmal mehr hübsch. Ich blickte aus dem Fenster, in dessen Scheibe sich ein schmales Gesicht mit hohen Backenknochen und großen, dunklen Augen spiegelte, das mich mürrisch ansah. Ich prostete dem grimmigen Spiegelbild mit meiner Kaffeetasse zu und kippte ihren Inhalt hinunter.
    Ich hatte sowieso keine Zeit, unter Leute zu gehen. In Durgas Fall wartete noch jede Menge Arbeit auf mich. Ich nahm ein weiteres Mal die Aktenordner aus meiner Tasche, setzte meine Brille auf und vertiefte mich noch einmal in die Ermittlungsergebnisse betreffs Shardas Verschwinden. Die Informationen waren dürftig, und es gab nicht einmal ein Foto von ihr, das mir hätte weiterhelfen können. Ich zog das Foto von dem Mädchen auf dem Bett aus dem Innenfach meiner Tasche. Ich hatte mich entschlossen, auf Binnys Rat zu hören, sehr auf der Hut zu sein und meine sämtlichen Unterlagen stets bei mir zu tragen. Immerhin war der oberste Polizeiinspektor von Haryana vor einigen Jahren beschuldigt worden, sich einem blutjungen Mädchen unsittlich genähert zu haben, und vor Kurzem war ein anderer hoher Beamter unter die Anklage gestellt worden, in Delhi eine Journalistin ermordet zu haben, die angeblich seine Geliebte gewesen war. Weder diese beiden Vorfälle noch das, was ich selbst in Jullundur bisher erlebt hatte, waren dazu angetan, das Vertrauen in meinen Freund Amarjit zu stärken. Alles Mögliche konnte passieren, und man durfte niemandem trauen.
    Wurde das Foto vielleicht in der Anstalt aufgenommen, in der sich Sharda befand? Aber dieses Bett konnte ebenso gut in einem ganz normalen Krankenhaus stehen. Falls Rahul wirklich ihr Sohn war, konnte es auch auf einer Entbindungsstation gemacht worden sein. Die kahle Umgebung, in der das Mädchen sich befand, stellte mich vor ein Rätsel. Und außerdem glaubte ich, an einer Seite des Bettes so etwas wie Glieder einer Kette erkennen

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