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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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Patienten nur gestattete, nach Hause zu gehen, wären sie dort unter Umständen in der Lage, unter regelmäßiger ärztlicher Überwachung ein normales Leben zu führen. Nach den haarsträubenden Berichten, die ich gelesen hatte, tat es ausgesprochen gut, mit jemandem zu reden, der noch Mitleid mit den Betroffenen empfand. Es war an sich ja schon eine sehr unerfreuliche Erfahrung, den Verstand zu verlieren, und es machte es noch umso schlimmer, wenn man dann auch noch hier landete, in einer Anstalt, die dafür berüchtigt war, Kriminelle zusammen mit wirklich kranken Menschen einzusperren, um Ersteren die Möglichkeit zu geben, ihrer Bestrafung zu entgehen. Prakash erzählte mir von einem jungen Mädchen, das kurz nach seiner Amtsübernahme hier in der Klinik zu Tode gekommen war. Vermutlich war sie vorher noch vergewaltigt worden. Doch es gab keinerlei Unterlagen darüber, wo das Mädchen herstammte und wer seine Angehörigen waren – ihr Tod in diesem Haus, in dem sie sicher verwahrt sein sollte, unterschied sich also nicht allzu sehr von dem, der sie vermutlich irgendwo draußen auf der Straße ereilt hätte. Was ihm aber noch mehr Kopfzerbrechen bereitete, wäre die Häufigkeit der Fälle, in denen Menschen mit leichten kognitiven Defiziten gleich als »geistesgestört« diagnostiziert würden, betonte Prakash, und er würde permanent daran arbeiten, hier ein Umdenken herbeizuführen. Hinter der betont optimistischen Fassade konnte ich seine Erschöpfung spüren.
    Als die Akte dann tatsächlich gebracht wurde, war ich ein weiteres Mal positiv überrascht – schließlich war ich so sehr an ein Behördensystem gewöhnt, in dem dauernd irgendwelche Unterlagen auf mysteriöse Weise verschwanden. Für gewöhnlich minderte es den Arbeitsaufwand in einer Abteilung ja auch, wenn man stolz verkünden konnte: »Die Akte ist leider nicht mehr aufzufinden, Saar .«
    Prakash schlug die Akte auf und blätterte darin. Sie bestand aus einem bemerkenswert dicken Ordner – wieder sehr ungewöhnlich für diesen Teil der Welt.
    Â»Gab es in der Familie schon früher Fälle von psychischen Störungen?«
    Â»Nicht, dass ich wüsste.«
    Â»Nun, hier ist die Aussage von jemandem, den sie zu Hause attackiert hat. Hat ihn fast umgebracht, wie’s aussieht. Bei ihr wurden eine schwere Schizophrenie sowie schwere Depressionen festgestellt. Zum ersten Mal haben wir sie 2002 hiergehabt. Ihr wurde eine ganze Reihe von Medikamenten verabreicht, um sie zu stabilisieren. Die Liste liegt bei. Dann ist jemand gekommen, um sie wieder abzuholen. Möglicherweise war sie vorher vergewaltigt worden? So lautete jedenfalls die Anschuldigung, die von einem Mitglied ihrer Familie erhoben wurde, sie war nämlich schwanger. Nach der Geburt des Kindes wurde sie wieder hierher zurückgebracht, und dann … nun, sie wurde noch eine Weile behandelt, und das war’s dann.«
    Â»Das war’s dann? Was ist denn aus ihr geworden? Und was für eine Behandlung ist das gewesen?«
    Â»Ach, um sie ruhig zu stellen. Die Dosen waren allerdings ziemlich hoch, also muss sie tobsüchtig gewesen sein.«
    Â»Elektroschocks auch?«
    Â»Ich fürchte schon. Aber heute wird das nicht mehr gemacht.«
    Â»Ich habe gelesen, dass solche Behandlungen in der Vergangenheit ohne Betäubung durchgeführt worden sind und dass die meisten Angehörigen des medizinischen Personals ungelernte Kräfte waren.«
    Â»Was soll ich dazu sagen? In jenen Tagen ist hier so einiges passiert.«
    Â»Und wo ist sie dann hingekommen?«
    Â»Laut der Akte hat die Familie sie nach ungefähr einem Jahr abgeholt.«
    Â»Gibt es ein Bild von ihr?«
    Er zeigte mir ein Foto, das der Akte beigefügt war. Es zeigte eine außerordentlich dünne Frau mit einer quer über die Stirn verlaufenden Narbe und kurzgeschnittenem Haar. Einer ihrer Mundwinkel hing ein bisschen herunter, und sie starrte mit glasigen Augen ins Leere. Diesen Blick hatte ich schon oft, viel zu oft, gesehen. Ich glaubte, in ihr eine entfernte Ähnlichkeit mit Durga zu erkennen, aber es war schwer zu sagen.
    Prakash blickte nun seinerseits ein wenig besorgt drein.
    Â»Sie sagten, die Schwester befindet sich in polizeilichem Gewahrsam, weil man glaubt, sie hätte ihre ganze Familie umgebracht? Wie viele Personen waren das denn?«
    Â»Dreizehn.«
    Â»Ich weiß

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