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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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herauszuschinden, aber vergiss bitte nicht, dass wir den Fall demnächst irgendwann zum Abschluss bringen müssen. Du kannst dir wohl denken, wieso ich dich angefordert habe und keinen Kriminalpsychologen. Wenn so einer ins Spiel gekommen wäre, hätte sich sofort die Presse auf die Sache gestürzt, und dann wäre es aus gewesen mit Durgas Chance, je wieder auf freien Fuß zu kommen.«
    Ich begriff sehr wohl, dass Amarjit den üblichen Dienstweg umgehen wollte. Er nahm damit ein ziemliches Risiko auf sich, aber ich traute ihm dennoch nicht so recht. Er hatte die ganze Zeit über wegen Sharda Bescheid gewusst, es aber vorgezogen, dass Stillschweigen bewahrt würde. Er hatte mir seine persönlichen Beweggründe erläutert, die ich auch nachvollziehen konnte, und doch: Es war und blieb merkwürdig, dass niemand Sharda in der Anstalt für psychisch Kranke aufgespürt hatte. Keiner schien sich für sie zu interessieren. Und keiner vermochte mir zu sagen, was aus ihr geworden war. Wie konnte ein Mensch so ganz und gar verschwinden, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen?
    Ich legte bedächtig den Hörer auf. Etwas wohler ums Herz wurde mir erst, als mir wieder einfiel, dass ich an diesem Vormittag ja mit Harpreet Singh verabredet war. Unser erstes Zusammentreffen hatte mich ein wenig verstört, aber dass er sich nun extra der Mühe unterzog, mich hier aufzusuchen, hatte etwas Ritterliches an sich, wovon es in diesem Teil der Welt viel zu wenig gab, und gerade nach dem etwas frostigen Telefongespräch mit Amarjit brauchte ich etwas, das mich wieder aufbaute. Wenn ich Harpreet ein wenig umgarnte, würde er vielleicht mit ein paar weiteren Auskünften herausrücken, die er mir beim ersten Mal vorenthalten hatte.
    Ob es nun damit zu tun hatte, dass ich die Femme fatale spielen wollte, um an Informationen heranzukommen, oder damit, dass ich mich noch sehr gut an die umwerfende Wirkung erinnerte, die Harpreet Singh auf mich gehabt hatte – jedenfalls kramte ich meinen am wenigsten abgetragenen Sari hervor, einen quittegelben, und gab mir besondere Mühe mit dem roten Punkt, den ich mir auf die Stirn malte. Ich legte sogar meine silbernen Ohrringe an. Normalerweise scherte ich mich nicht um Männer oder darum, ob ich ihren Zuspruch fand, aber als ich nun in den Spiegel schaute, erblickte ich zu meiner Zufriedenheit darin eine etwas aufgepeppte Version von mir selbst und glättete vorsichtig ein paar Löckchen, die mir ins Gesicht hingen. Ich fand, dass ich so weniger streng aussah. Vielleicht sollte ich öfter bunte Kleider tragen – sie passten gut zu meiner dunklen Haut.
    Ich steckte die Fotos von Sharda in meine Umhängetasche und verließ mein Zimmer. In diesem Moment sah ich Harpreet in das Foyer des Gästehauses eintreten. Bis jetzt war es mir gelungen, sämtliche Gedanken an ihn in die hintersten Winkel meines Gehirns zu verbannen, wo sie mir, wie ich h offte, nicht in die Quere kommen würden, aber verdammt! Der Mann schien binnen einer Woche noch schöner geworden zu sein. Und es war nicht allein sein gutes Aussehen, sondern auch die Aura des Edelmuts, die ihn umgab. Ein selbstloser Mensch, der eine verstümmelte Frau geheiratet hatte und sich mit einer karg entlohnten Arbeit beschied, obwohl er bestimmt viel mehr verdienen konnte. Er machte sich Sorgen um Durga, und Sharda scheint ihm sehr am Herzen gelegen zu haben. Um etwas Distanz zu ihm zu bewahren, versuchte ich, mir einzureden, dass er am Ende vielleicht doch nicht der vollendete Gutmensch war, für den man ihn halten konnte – aber das bedurfte einiger Selbstüberzeugung.
    Ich kannte ja nur zu gut die Konsequenzen, die daraus erwachsen, wenn man sich zu dem verkehrten Mann hingezogen fühlt. Mein letzter Freund – ein etwas begriffsstutziger, aber dafür nicht auf den Mund gefallener Zeitgenosse, dessen größter Fehler es war, so auf seine Mummyji fixiert zu sein, hatte nicht gänzlich verkehrt gelegen, als er sich von mir trennte; ich wusste, dass ich schuld am Scheitern unserer Beziehung war und er es irgendwann einfach nicht mehr mit mir ausgehalten hatte.
    Vielleicht lag es mir ja, immer am Rande des Schiffbruchs zu leben, aber dieser Hang zum Risiko brachte mich letztlich nicht weiter. Ich versuchte, mir meine Mutter vorzustellen, wie sie sich über mein alles andere als perfektes Verhalten echauffierte: »Wenn er auf irgendeine Weise in diesen

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