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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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war im Haus natürlich einer von denen, die ein Wörtchen mitzureden hatten, und so war nichts ohne seine Zustimmung unternommen worden.
    Möglicherweise plagten ihn wirklich Schuldgefühle, denn er kam ab und zu in mein Zimmer, um sich bei mir auszuheulen; am liebsten, wenn er betrunken oder auf Drogen war. Dann flehte er Sharda – die nach wie vor verschwunden war – an, ihm zu vergeben, und wiederholte in einem fort, wie leid es ihm täte. Ich habe ihm dann seinen Kopf gestreichelt und ihm versichert, dass alles gut würde, doch natürlich wusste er so gut wie ich, dass nichts je wieder so sein würde wie früher.
    Also wurde ein Datum für die Hochzeit festgelegt. Jitu brauchte nichts weiter zu tun, als anwesend zu sein – was übrigens auch für seine Arbeit zutraf. In unserer Familie brauchte niemand einen Finger zu rühren, denn mein Vater besaß genug Land, dass sich noch fünf weitere Generationen bequem davon würden ernähren können. Jitu würde in seiner neuen Heimat bestimmt nicht als Taxifahrer arbeiten müssen, vielmehr konnte er höchstwahrscheinlich ein kleines Geschäft aufmachen. So träumte sich das jedenfalls meine Mutter zusammen, wenn sie an ihren komplizierten Plänen für seine Verheiratung strickte.
    Am Tag vor der Hochzeit kam Binny aus England angeflogen. Sie war hübsch, aber nicht zu hübsch, ganz so wie auf den Fotos. Ich wurde ermahnt, nicht zu viel mit ihr zu sprechen und nicht im Wege zu stehen. Den Sitten entsprechend musste der Bräutigam sich eigentlich in Begleitung seiner Eltern in festlicher Aufmachung zum Wohnort seiner Braut begeben, doch in unserem Falle blieb der Bräutigam zu Hause. Meine Mutter geriet so außer sich vor Angst, dunkle Mächte könnten schon wieder alles zunichtemachen, dass sie sogar ihre Mitgiftforderungen drastisch reduzierte. Meine Eltern verlangten also nichts außer einer kleinen Wohnung und einem Auto für Jitu, wenn er und seine Braut in England ankamen. Und ihre Forderungen wurden nur zu gerne erfüllt: Binnys Eltern waren hellauf begeistert, dass ihre Tochter in eine derart gutsituierte Familie einheiratete. Binnys Vater hatte es schließlich nur bis zum Abteilungsleiter bei Nestlé gebracht, während mein Vater in Jullundur sozusagen das Äquivalent eines Besitzers gleich mehrerer Lebensmittelfabriken darstellte. somit stand es außer Frage, wer in der Hackordnung den niederen Rang einnahm. Binnys Eltern hatten zu tun, was wir ihnen sagten.
    Es war die größte Hochzeit seit zehn Jahren. Wochenlang wurde gefeiert. Selbst ich wurde von Kopf bis Fuß neu eingekleidet.
    Kaum elf Monate sind seit der Hochzeit erst vergangen, und doch kommt es mir heute so vor, als läge das alles schon ein Jahrhundert zurück. Ich muss immer daran denken, dass diejenige in unserer Familie, für die die Hochzeit ihres Lieblingsbruders die allergrößte Herzensfreude gewesen wäre, für immer und ewig aus unserer Mitte gerissen worden war, quasi ausgelöscht. Sämtliche Bilder von Sharda waren schon lange vor dem großen Tag entfernt worden, damit auch ja niemand unbequeme Fragen stellte.
    Und es fragte auch wirklich niemand nach – dafür sorgten schon die nicht enden wollenden Partys und die permanenten Gebete. Die meisten der Gäste waren viel zu abgelenkt, um sich über verschwundene Töchter Gedanken zu machen.
    â—† ◆ ◆
    Ein spätabendlicher Anruf meiner Mutter auf meinem Handy rief mich wieder in meine Parallelwelt zurück, die Welt, in der ich nichts anderes zu tun hatte, als einen Ehemann zu finden. Für gewöhnlich stellte ich mich taub, wenn meine Mutter wieder einmal deswegen zu lamentieren anfing. Nun aber musste ich jedes Wort über mich ergehen lassen, und jedes einzelne von ihnen versetzte mir einen Stich und schien dazu angetan, mich als Menschen herabzuwürdigen.
    Warum war ein Ehemann so wichtig? Was konnte er mir geben, das ich in dieser Welt nicht selber finden konnte? Und doch musste ich ständig den Gedanken an ein Paar grüner Augen, die mich fragend ansahen, verdrängen. Außerdem war er schließlich verheiratet. Ich spürte den Schmerz, als sich mein Magen zu einem Knoten zusammenzog, und das ließ mich schärfer mit meiner Mutter ins Gericht gehen, als es sonst der Fall gewesen wäre.
    Â»So, jetzt hör mir mal zu, Mom. Jeder Mann, dem ich bisher begegnet bin, war ein

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