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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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selbstverliebter Langweiler. Warum wünschst du mir ein eintöniges Leben?«
    Â»Das Leben ist nicht nur eitel Freude und Sonnenschein.« Der übliche moralinsaure Schlag unter die Gürtellinie. »Du musst dich dem Ernst des Lebens stellen, aber für dich ist ja alles, was im Leben wichtig ist, auch gleichzeitig langweilig. Denkst du dabei eigentlich auch mal an mich? Ich werde sterben, ohne jemals das Gesicht meines Enkelkindes gesehen zu haben.«
    Ich habe mich schon oft gefragt, ob meine Mutter auch nur einen blassen Schimmer davon hatte, was mein Beruf mir alles abverlangte. Vermutlich stellte sie sich vor, dass ich den ganzen Tag lang mit weiblichen Strafgefangenen Volkstänze einstudierte. Aber selbst das hatte ich natürlich auch wieder mir selbst zuzuschreiben. Ich hatte sie einmal zu einem Liebesliederabend ins Frauengefängnis von Tihar mitgenommen, was in ihr den bleibenden Eindruck hinterließ, dass die Gefangenen dort ein sehr angenehmes Leben führten, da sie es nicht einmal nötig hatten, sich ihre Eintrittskarten für eine musikalische Darbietung zu kaufen – wie wir normalen Sterblichen.
    Ich konnte mir eine bissige Erwiderung nicht verkneifen. » Langweilig trifft nur auf die Männer zu, die mir gemeinhin über den Weg laufen. Und wenn du dich schon dauernd mit Tod und Sterben beschäftigst, dann sag mir doch bitte, warum du mir nicht gleich bei meiner Geburt den Hals umgedreht hast? Ist Kindesmord nicht die gängige Methode, so ein Problem aus der Welt zu schaffen?«
    Â»Wie kannst du nur so einen Unsinn reden. Selbstverständlich habe ich mir eine Tochter gewünscht. Glaub mir, ich wäre mit jedem Kind glücklich gewesen. Dein Vater hatte so viel mit seiner Arbeit um die Ohren, dass man von einem Wunder sprechen kann, dass du überhaupt gezeugt worden bist. Aber lass es dir gesagt sein – von meiner Familie bin ich von allen Seiten bedauert worden. Dein Dadi hat mir sogar nahegelegt, dass ich dir einfach nicht die Brust gebe. Das machen viele Frauen so, denn wenn das Kind an Unterernährung stirbt, können sie nicht wegen Mordes belangt werden. Man sagt einfach, sie hätte die Nahrungsaufnahme verweigert, und was hätte man da denn tun sollen?«
    Dabei fiel mir eine Frau in Tamil Nadu ein, die zugab, zunächst versucht zu haben, ihre Tochter umzubringen, indem sie sie nicht fütterte. Als sie schließlich das Babygeschrei des Kindes nicht mehr ertragen konnte, hatte sie sich den giftigen Saft des Oleanders besorgt, ihn in Rizinusöl gemischt und ihr Kind gezwungen, die Mixtur zu schlucken. Irgendwann herrschte dann Ruhe. Das Geschrei hatte ihr mehr ausgemacht als der Mord an diesem Kind.
    Ich hätte meiner Mutter noch ein paar andere, ähnlich simple Methoden aufzählen können – indem man dem Kind zum Beispiel Reishülsen in den Rachen stopfte, was Risse in der Luftröhre verursachte. Oder indem man es einfach erstickte. Andere Frauen, die bei einer Geburt oder bei einer Kindestötung zugegen waren, nahmen die betreffende Mutter in aller Regel in Schutz. Sie wussten nur zu gut um den Hohn und all die Scherereien, die es mit sich brachte, wenn man eine Tochter gebar. Heutzutage jedoch war man da ein wenig abgeklärter als zu der Zeit der Schwangerschaft meiner Mutter. Im einundzwanzigsten Jahrhundert wurde weiblichen Säuglingen während einer vorgeburtlichen Untersuchung sozusagen im Rahmen eines Pauschalangebots noch im Mutterleib der Garaus gemacht. Auch eine kaum nachweisbare Mordmethode.
    Als ich der Tiraden meiner Mutter leid war, versprach ich ihr, eine Kleinanzeige in die Zeitung zu setzen, in der ich meine Verfügbarkeit als Ehefrau annoncierte. Die Ironie dieses Vorschlags entging ihr völlig – vielmehr versprach sie mir ihrerseits, mir einen Textentwurf für eine solche Anzeige zu schicken, denn sie hätte erst neulich eine Frau kennen gelernt, die tatsächlich über das Internet einen Ehemann gefunden hatte. Meine Mutter, die sich bis vor Kurzem noch standhaft geweigert hatte, ein Mobiltelefon in die Hand zu nehmen, war also mittlerweile bereit, es mit jedweder modernen Technologie zu versuchen, solange die Aussicht bestand, sie könne dadurch noch eines Tages einen Blick erhaschen auf das »Antlitz ihres Enkels«. Das war natürlich alles reines Wunschdenken, aber schließlich konnte sie ja niemand daran hindern, ihren Träumen nachzuhängen, nicht

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