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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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wahr? Oder glaubte sie etwa allen Ernstes, dass ich sie als Fünfundvierzigjährige noch mit einem Enkelkind beglücken würde?
    Ich las noch einmal Binnys Brief und schämte mich dafür, ihr im Geiste unterstellt zu haben, dass sie es darauf anlegen könnte, Durga zum Sündenbock zu machen. Es war nur zu offensichtlich, dass die beiden Mädchen eine enge Freundschaft verband. Möglicherweise begann mein Unvermögen, bei diesem Fall durchzusteigen, mir so sehr den klaren Blick zu verstellen, dass ich voreilig den guten Absichten anderer misstraute. Durgas Tränen und ihre freudige Reaktion auf Mandakinis Geburt hatten mich zutiefst bewegt. Schließlich hatte Durga nur sehr wenige Fürsprecher und gar keine Familie mehr, auf die sie zählen konnte. Von einem Menschen zumindest empfing sie noch Liebe und Zuneigung.
    Ich läutete, um mir ein paar Eiswürfel für meinen Whisky bringen zu lassen, setzte mich an den Computer und ging meine E-Mails durch. In diesem Moment rief der Hausmeister an, um mir zu sagen, dass ein Journalist mich zu sprechen wünschte und draußen wartete. Ich warf einen Blick auf die Uhr, es ging immerhin bereits auf neun zu. Das trifft sich ja, dachte ich so für mich – dass es sich um einen Mann handelte. Ursprünglich war ich eigentlich entschlossen gewesen, mich von den Medien fernzuhalten, doch nun, nach all diesen verstörenden Entwicklungen, erhoffte ich mir von dem Gespräch einen Einblick darin, wie man hier vor Ort die Entwicklung des Falls betrachtete. Außerdem hatte ich, besonders nach dem Whisky, das Bedürfnis, einfach mal Fünf gerade sein zu lassen. Schließlich hatte ich mir vorgenommen, schleunigst ein gewisses Paar ziemlich hinreißender grüner Augen aus meinen Gedanken zu verbannen.
    Also bat ich den Reporter zu mir herein und lud ihn auch gleich ein, mit mir zusammen einen Drink zu nehmen. Ich war es leid, mich zu verstellen. Wenn diese Arschlöcher sich unbedingt über eine Frau, die Alkohol trank, empören wollten, dann bitte schön. Es wäre mir auch schnurzegal gewesen, wenn er mir vier Spalten auf der Titelseite der Daily Awaaz – der »Stimme des Tages« – einschließlich Foto von mir mit meinem Whiskyglas in der Hand verpasst hätte.
    Der Reporter – er hieß Gurmit Singh und war ein hochgewachsener, ernst dreinblickender Knabe mit einem blauen Turban und einem schwarzen Zausebart – ließ sich nicht zweimal bitten und sich zu meiner Verblüffung nur zu gerne ein Glas Bier einschenken. Es schien ihn nicht einmal zu schockieren, eine Frau mittleren Alters ganz für sich allein Alkohol in sich hineinschütten zu sehen. Ich erfuhr, dass er erst im Jahr zuvor von Bombay in diese Gegend versetzt worden war, weil seine Zeitung die Berichterstattung aus den Provinzen und damit die Auf lage erweitern wollte. Wir tauschten wehmütige Erinnerungen daran aus, wie es war, im Regen den Marine Drive in Bombay entlangzuschlendern, sich im Wankhede Stadium ein Kricketspiel anzusehen und im Wellington Club einen Tee zu trinken. Das verband uns beide als erfahrene Weltenbummler, die das Schicksal nunmehr an die Gestade Jullundurs mit seinen staubigen Straßen verschlagen hatte – wenn ich es mal so blumig ausdrücken darf. Denn wie man sich leicht vorstellen kann, verstanden wir uns vom ersten Augenblick an vortrefflich. Dies war schließlich mein erster entspannter Abend in dieser Stadt, der erste Abend, an dem ich nicht ständig über die Schulter hinweg nach einem unbekannten Meuchelmörder Ausschau halten musste oder aus Teeblättern die Namen von Killern herauszulesen versuchte.
    Wir unterhielten uns eine Weile über den »Fall«. Zu meiner Überraschung fragte er mich, ob ich plante, Sharda damit in Verbindung zu bringen. Er schien allerhand über sie zu wissen und vertraute mir sogar an, dass er auf eigene Faust Nachforschungen über sämtliche beteiligten Personen angestellt hatte, einschließlich Harpreet. Das war ein ziemlich ernüchternder Gedanke, doch ich wollte auf keinen Fall, dass der Alkoholdunst in meinem Kopf sich lichtete.
    Â»Sharda ist vor fünf Jahren verschwunden. Warum sollte ich da einen Zusammenhang herstellen?«
    Er zog einen Brief aus der Tasche.
    Â»Dies hier bekam ich vor gerade mal fünf Monaten. Soll ich Ihnen den Brief vorlesen? Er ist nämlich auf Gurmukhi. Im Wesentlichen wird darin die Frage

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