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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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eines der Hunde – er hatte wahrscheinlich den Boden abgeleckt. Aber warum war dann noch Feuer gelegt worden? Und von wem? Warum war auf die Opfer eingestochen worden? Waren sie nicht bereits tot? Es heißt ja immer, es wäre ein Indiz für eine Geisteskrankheit oder für ein übermächtiges Rachebedürfnis, wenn jemand so sinnlos mehrfach auf eine Person einsticht. Aber war eine geschwächte Vierzehnjährige, auch wenn sie noch so gestört sein mochte, zu einer solchen Brutalität fähig? Oder steckte doch jemand ganz anderes dahinter, jemand, der Durga jetzt den schwarzen Peter zuschob?
    Das konnte der Grund dafür sein, dass die Flecken von der Wand entfernt worden waren – dass jemand Beweise für die Gewalttat vernichten wollte. Vor allem, falls außer Durga noch andere an der Tat beteiligt gewesen waren. Aber wer waren diese anderen? Während ich den Salon abschritt, versuchte ich noch einmal, mir die Ereignisse dieses Abends vorzustellen.
    Wo war eigentlich Manubhai? Und wo waren seine Töchter? Ich erinnerte mich daran, was die vollkommen verstörte Durga mir über Manubhai und seine Töchter gesagt hatte, dass nämlich eine von ihnen in einem Zimmer nahe dem von Jitu festgehalten wurde. Damit er dablieb. Damit er nicht wegkonnte. Auch nicht, als er schon verheiratet war . Ich hatte das Gefühl, als würde mir jemand die Worte ins Ohr flüstern.
    Hinten im Haus, wo die Bediensteten ihre Zimmer hatten, herrschte Grabesstille. Diese Zimmer waren viel kleiner und befanden sich in einem Anbau an der Rückseite des Gebäudes, der auf das kahle Feld hinausging. Fenster und Türen waren geschlossen, und alles war so sauber, als wären die Bewohner dieser Kammern erst kürzlich hier gewesen. Ich probierte eine der Türen, sie war nur angelehnt. Die Tür führte in einen abgedunkelten Raum, auf dessen Fußboden eine Kinderpuppe aus Stoff lag, in die jemand eine Nähnadel gesteckt hatte. Als ich sie umdrehte, sah ich, dass die Puppe auf der anderen Seite einen braunen Fleck und kein Gesicht hatte.
    Â»Aber hallo! Das ist ja eine Überraschung«, ließ sich hinter mir eine Stimme vernehmen, und schon tippte jemand mir auf die Schulter. Ich schrak zusammen und fuhr herum. Ramnaths unerwartetes Erscheinen hatte mich völlig aus der Fassung gebracht.
    Er warf einen Blick auf die Puppe in meiner Hand.
    Â»Wo hast du das her?«
    Â»Lag auf dem Boden.«
    Â»Darf ich mal?« Er drehte die Puppe um und fing an zu lachen. »Mein Gott, diese Leute mit ihrer schwarzen Magie. Sie geben aber auch nie auf.«
    Hinter ihm betrat nun auch Gurmit den Raum und besaß wenigstens den Anstand, ein wenig verschämt dreinzublicken.
    Â»Ich fürchte, das ist nichts für deine Geschichte, alter Knabe«, sagte Ramnath. »Aber das hier ist es, wovor die arme Mrs. Atwal in ständiger Angst lebte – dass jemand sie mit einem Voodoo-Zauber belegt. Das ist natürlich alles Hokuspokus, aber wir haben überall im Haus so ein Zeugs gefunden. Aber das bleibt schön unter uns … ich will keinen Mörder aus dem Jenseits. Geister sind mir zu schwierig einzufangen!« Er kicherte und reichte die Puppe an einen seiner Untergebenen weiter.
    Â»Ich hoffe doch, dass du sie nicht da hingelegt hast?«, bemerkte er scherzhaft an mich gewandt.
    Ich ließ mich nicht provozieren. »Ich habe nach Manubhai gesucht«, sagte ich. »Ich wollte, dass jemand, der sich hier auskennt, mich durchs Haus führt. Bis jetzt habe ich alles auf eigene Faust erkunden müssen.«
    Â»Ich glaube, er ist nach Bihar zurückgekehrt.«
    Das fand ich sonderbar. Neben dem Herd lag Gemüse, als sollte hier gleich etwas gekocht werden, auf der Wäscheleine trockneten Kleidungsstücke, und in einem der Zimmer hatte ich auch leere Koffer gesehen. Demnach musste Manubhai – oder wer auch immer – in großer Eile aufgebrochen sein. Ich zuckte nur resigniert die Achseln. Für mich gab es hier nichts mehr zu tun.
    Â»Verstehe. Dann schaue ich mich noch etwas um und gehe wieder.«
    Ich wandte mich von Ramnath ab, um ins Haupthaus zurückzugehen. Gurmit grüßte ich kurz im Vorbeigehen.
    Â»Schön, dich wiederzusehen.«
    Â»Ihr kennt einander?«
    Â»Ach, wir sind uns vor ein paar Tagen zufällig über den Weg gelaufen«, beeilte ich mich zu sagen und ließ die beiden stehen. Gurmit öffnete den Mund, um auch

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