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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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etwas zu äußern, seine Lippen schlossen sich gleich wieder, nachdem er Ramnath einen Blick zugeworfen hatte. Das war auch besser so.
    Während der holperigen Rikschafahrt zurück in die Stadt rief ich mir ins Gedächtnis, was Binny gesagt hatte – dass die beiden Mädchen aus Bihar zumeist auf der Farm festgehalten wurden. Wo befand sich diese Farm der Atwals eigentlich? Nicht allzu weit weg, hoffte ich. Jedenfalls würde ich die Adresse in den Polizeiakten nachschlagen müssen. Ramnath zu fragen, hätte keinen Zweck. Zweifellos würde er alles daransetzen, mich von meinem Vorhaben abzuhalten.
    Im Gästehaus musste ich feststellen, dass der Breitbandanschluss ans Fernmeldenetz gestört war, ich also keinen Internetzugang hatte. Ich nahm an, dass Binny mir inzwischen Fotos von den Kindern gemailt hatte, aber das musste jetzt eben warten. Ich blätterte rasch in meinen Notizen nach der Adresse der Familienfarm der Atwals.
    Diese befand sich an der Straße nach Amritsar, zwei Stunden von Jullundur entfernt. Die Fahrt dorthin würde mich einen ganzen Tag kosten; selbst wenn ich auf der Stelle aufbräche, wäre es heute schon zu spät dafür. Obwohl der nächste Tag ein Sonntag war, beschloss ich, nach meinem Besuch bei Durga zu der Farm zu fahren.
    Ein weiterer durchzechter Abend half mir, ein bisschen von meinem Verdruss zu vergessen. Den Telefonhörer ließ ich den ganzen Abend neben dem Apparat liegen, denn irgendetwas sagte mir, dass Gurmit versuchen würde, mich anzurufen. Ich aber hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen.
    â—† ◆ ◆
    Als ich mich am nächsten Morgen auf meinen Besuch bei Durga vorbereitete, wählte ich von den Büchern, die ich bei mir hatte, ein paar aus, von denen ich hoffte, dass sie ihr gefallen könnten, darunter eine eher zufällige Auswahl von Kurzgeschichten und Essays, die sie nicht verstören würden. Ich hatte auch die Neuübersetzung der Autobiografie der Dichterin Amrita Pritam dabei, die ich ebenfalls mitnahm.
    Als ich im Untersuchungsgefängnis ankam, musste ich feststellen, dass Ramnath mir schon wieder fünf Schritte voraus war. Was ich befürchtet hatte, war also eingetreten. Nur ein Dummkopf wie ich glaubte daran, dass jemand sein Wort hielt.
    Ramnath Singh, der während Amarjits Abwesenheit für den Fall zuständig wäre, hätte neue Anweisungen erteilt, erfuhr ich.
    Es war entschieden worden, Durga vorübergehend zu verlegen.
    Die Polizeibeamtin, die mir dies mitteilte, war ausgesprochen freundlich und höflich, erklärte aber, dass sie leider nicht wüsste, wohin Durga gebracht worden war. So viel zu Amarjits Versprechen, mir weitere zehn Tage Zeit zu lassen.
    Steckte er hinter dieser Verschleppungstaktik? Warum tat er überhaupt so, als stünde er auf meiner Seite? Und wieso dieser plötzliche Sinneswandel? Es war frustrierend und zermürbend: ausgerechnet jetzt, wo Durga sich langsam zu öffnen und ein wenig Vertrauen zu mir zu fassen begann. Es war einfach verdammt unfair, sie mir an diesem kritischen Punkt zu entziehen.
    Panik, Wut und das immer stärker werdende Gefühl, dringend etwas tun zu müssen, stiegen in mir auf. Warum war ich so dumm gewesen, Amarjit zu vertrauen? Noch vom Gefängnis aus wählte ich seine Nummer, aber es klingelte endlos. Erst beim dritten Versuch nahm jemand ab und sagte, er wäre immer noch bei einer Krisenstabssitzung in Delhi.
    â—† ◆ ◆
    An [email protected]
    Allerliebste Simi, seit gestern nichts von dir gehört. Hoffe, es geht dir gut. Nun weiß ich gar nicht, ob dir die Fotos von meinen beiden Süßen gefallen haben. Ist Rahul nicht niedlich? Mandy ist für mich natürlich Miss World. Ich wollte dir noch sagen, dass ich einen merkwürdigen Anruf von Harpreet oder Harpreetsir, wie Durga ihn immer nannte, bekommen habe. Du weißt ja, dass ich ihn nie gesehen habe, aber nun hat er angerufen und gesagt, er hätte ein Visum für UK beantragt, weil er uns besuchen will, vor allem Rahul. Ich weiß nicht, was er für ein Interesse an Rahul haben könnte, aber es macht mir Angst, weil ich schon den Adoptionsantrag eingereicht habe und keine Komplikationen möchte. Dieses Kind hat bereits genug durchgemacht, und Durga würde es mir nie verzeihen, wenn ihm etwas zustößt. Ich habe niemandem gesagt, dass ich ihn bei mir habe. Als die Presse bei mir war, habe ich ihn total

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