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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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klatschte. Der Bootsmann griff instinktiv danach und fuhr herum, völlig verblüfft und nichts begreifend.
    »Zurück, Mann, zurück!« brüllte Nicolson. »Schnell, um Gottes willen, machen Sie schnell!«
    McKinnon begann, sich auf das Boot zuzubewegen, doch nicht aus eigenem Antrieb; er hielt den Bootshaken fest, den Nicolson rasch heranzog. McKinnons Gesicht hatte immer noch einen fast komischen Ausdruck verständnisloser Verblüffung. Er sah über die Schulter dorthin, wo sich Sinclair ziellos im Wasser bewegte – inzwischen fast zehn Meter entfernt –, sah dann wieder zum Boot hin, öffnete den Mund, um zu sprechen, und schrie plötzlich laut auf vor Schmerz. Den Bruchteil einer Sekunde später schrie er ein zweites Mal, ging schlagartig und wie durch ein Wunder zu wilder Aktivität über und arbeitete sich wie besessen durch das Wasser auf das Boot zu. Mit fünf heftigen Stößen war er längsseits, ein halbes Dutzend Hände ergriffen ihn und zogen ihn kopfüber in das Boot, wo er mit dem Gesicht nach unten auf einer Ducht landete. In dem Augenblick, als seine Beine innenbords kamen, ließ etwas Graues, anzusehen wie ein Reptil, McKinnons Wade los, in die es seine Zähne geschlagen hatte, und glitt lautlos zurück in das Wasser.
    »Um Gottes willen – was war das?« Gudrun hatte mit einem flüchtigen Blick das bösartige Gebiß und den widerlichen, schlangenartigen Körper erspäht. Ihre Stimme zitterte.
    »Barrakuda«, sagte Nicolson tonlos. Er vermied sorgfältig, sie anzusehen.
    »Barrakuda!« flüsterte sie entsetzt, und der Klang ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß sie über diesen gierigsten Mörder unter den Raubfischen genau Bescheid wußte. »Und Alex! Alex ist da draußen! Wir müssen ihm helfen, schnell!«
    »Da ist nichts mehr zu machen«, sagte Nicolson. Es kam rauher heraus, als er es gewollt hatte, doch das Wissen um seine völlige Ohnmacht setzte ihm stärker zu, als ihm bewußt wurde. »Niemand kann jetzt noch irgend etwas für ihn tun.« Noch während er es sagte, drang Sinclairs entsetztes Geschrei über das Wasser her an ihre Ohren.
    Es war schrecklich anzuhören, ein halb menschliches, halb tierisches Geschrei, und es kam wieder und wieder, ein gellendes Geschrei namenlosen Entsetzens, während er sich krampfhaft im Wasser herumwarf, aus dem er manchmal mit dem ganzen Oberkörper herausschoß, so weit nach hinten zurückgebogen, daß sein Haar fast das Wasser berührte. Seine Hände schlugen das Wasser zu Schaum, während er sich wie besessen irgendwelcher unsichtbaren Feinde zu erwehren suchte. Der Colt in Nicolsons Hand krachte sechsmal rasch hintereinander und ließ das Wasser rings um den Soldaten hochspritzen: rasche, ungezielte Schüsse, die kaum in der Absicht abgegeben sein konnten, etwas zu treffen. Man hätte sie fast fahrlässig nennen können, mit Ausnahme des ersten: an diesem ersten Schuß war nichts Fahrlässiges gewesen. Er hatte Sinclair genau in den Kopf getroffen. Lange bevor der Pulvergeruch und der dünne blaue Rauch, der aus der Mündung stieg, im Wind nach Süden verweht waren, hatte das Wasser sich wieder beruhigt und Sinclair war verschwunden, unsichtbar versunken unter dem stahlblauen Spiegel der See.
    Zwanzig Minuten später war die See nicht mehr blau, sondern ein milchiges, schaumiges Weiß, aufgewirbelt von den prasselnden Regenböen, die in dichten Schleiern darüberhinstrichen, von Horizont zu Horizont.
    Fast drei Stunden waren vergangen, und es mußte ungefähr um die Zeit des Sonnenuntergangs sein. Die Sonne war freilich nicht zu sehen, es war nicht festzustellen, wo sie stand, denn noch immer wanderten die Regenböen unablässig nach Süden, und in dem schwindenden Licht zeigte der Himmel in allen Richtungen der Kompaßrose das gleiche bleierne Grau. Der Regen fiel noch immer, die prasselnden Schauer strichen über das ungeschützte Boot hinweg, doch niemand kümmerte sich darum. Sie waren klatschnaß bis auf die Haut, sie schauerten in dem kalten Regen, der die dünnen Baumwollstoffe eng an den Körpern kleben ließ. Doch sie waren glücklich. Ungeachtet der dumpfen Betäubung, die das tragische Ende Sinclairs ausgelöst hatte, und ungeachtet der schmerzlichen Erkenntnis, wie sinnlos dieser Tod war, in einem Augenblick, da der lebenspendende Regen schon so nahe gewesen war. Sie waren glücklich, da der Selbsterhaltungstrieb stärker ist als alles andere. Sie waren glücklich, weil sie ihren entsetzlichen Durst gestillt und sich

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