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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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Augenblick lang aus den Augen gelassen.«
    Farnholme starrte hinüber und stieß einen leisen Pfiff aus. »Wahrhaftig, Sie haben recht.«
    »Und warum tut er das?«
    »Das weiß ich nicht, ich habe tatsächlich nicht die geringste Ahnung. Aber das eine können Sie mir glauben, Mister Nicolson: wenn mein Freund van Effen es für notwendig hält, eine Pistole auf die Männer zu richten, dann hat er bestimmt seine guten Gründe dafür.«
    Van Effen hatte seine guten Gründe. In der Messe gegen das Schott gelehnt, einen großen Whisky in der Hand, erzählte er, während aus seinen klatschnassen Sachen das Wasser rann und auf dem Fußbodenbelag kleine Tümpel bildete, den ganzen Hergang knapp und überzeugend. Sie hatten sich mit dem Rettungsboot, das mit einem Motor ausgerüstet war, rasch von der brennenden Kerry Dancer entfernt und den Schutz einer kleinen Insel einige Meilen weiter südlich erreicht, als der Sturm losbrach. Sie hatten das Boot auf der windgeschützten Seite den Strand hinaufgezogen, und dort hatten sie stundenlang gehockt, bis der Wind plötzlich aufgehört hatte; kurze Zeit danach hatten sie im Nordwesten die Raketen gesehen.
    »Ja, das waren unsere«, sagte Findhorn. »Und daraufhin entschloß man sich dann zu dem Versuch, uns zu erreichen?«
    »Ich entschloß mich.« Die festen braunen Augen des Holländers zeigten ein frostiges Lächeln, während er mit der Hand auf die Gruppe dunkeläugiger und dunkelhäutiger Männer deutete, die zusammengedrängt in einer Ecke standen. »Siran und seine werten Genossen waren von der Idee nicht sehr begeistert. Sie sind keine ausgesprochenen Freunde der Alliierten, und sie wußten ja, daß hier in diesen Gewässern keine japanischen Schiffe zu vermuten waren. Außerdem handelte es sich, soviel wir wußten, um Notraketen eines sinkenden Schiffes.« Van Effen leerte den Rest seines Glases in einem Zug. »Aber ich hatte zum Glück meine Pistole.«
    »Das habe ich gesehen«, sagte Nicolson. »Und dann?«
    »Wir fuhren los, mit nordwestlichem Kurs. Erst ging es eine ganze Weile durch kabbelige, doch nicht allzu grobe See, und wir machten gute Fahrt. Dann aber schlugen ein paar hohe Brecher ins Boot und setzten den Motor unter Wasser. Nichts mehr zu machen, wir lagen einfach da, und ich dachte schon, es wäre aus, bis ich dann das phosphoreszierende Kielwasser Ihres Schiffes sah – wenn es so dunkel ist wie heute nacht, kann man dieses Phosphoreszieren ziemlich weit sehen. Hätte der Regen fünf Minuten früher eingesetzt, so hätten wir Sie nie gesichtet. Doch wir sahen Sie, und ich hatte meine Taschenlampe.«
    »Und Ihre Pistole«, setzte Findhorn hinzu. Er sah van Effen lange an, mit kaltem, kritischem Blick. »Jammerschade, Mister van Effen, daß Sie nicht eher von Ihrer Pistole Gebrauch gemacht haben.«
    Der Holländer lächelte schief. »Es ist nicht schwer, Herr Kapitän, zu erraten, was Sie damit sagen wollen.« Er hob die Hand, schnitt eine Grimasse und riß sich den blutgetränkten Leinenverband vom Kopf: eine tiefe, klaffende Wunde, dunkelrot an den Rändern, zog sich von der Stirn zum Ohr. »Was glauben Sie wohl, wo ich das da her habe?«
    »Hübsch ist es nicht«, gab Nicolson zu. »Siran?«
    »Einer seiner Leute. Die Kerry Dancer brannte, das Boot – das einzige Rettungsboot – hing ausgeschwenkt in den Davits, und Freund Siran hier und alle, die von seiner Crew übriggeblieben waren, wollten eben einsteigen.«
    »Also nur das eigene teure Leben wollten die lieben Leute retten«, sagte Nicolson bitter.
    »Ja, nur das eigne teure Leben«, bestätigte van Effen. »Ich hatte Siran an der Gurgel gepackt und drückte ihn rücklings über die Reling, um ihn zu zwingen, mit mir durch das Schiff zu gehen. Das war ein Fehler – ich hätte von meiner Pistole Gebrauch machen sollen. Ich wußte damals noch nicht, daß alle seine Leute mit derselben Quaste geteert sind. Einer von ihnen hat mich mit einem Belegnagel behandelt. Als ich wieder zu mir kam, lag ich unten im Boot.«
    »Wo lagen Sie?« fragte Findhorn ungläubig.
    »Ich weiß.« Van Effen lächelte, ein etwas müdes Lächeln. »Es erscheint völlig unsinnig, nicht wahr? Man sollte annehmen, sie hätten mich auf der Kerry Dancer im eigenen Saft schmoren lassen. Statt dessen lag ich im Boot – nicht nur lebendig, sondern sogar sorgfältig verbunden. Sonderbar – nicht wahr, Kapitän?«
    »Sonderbar dürfte kaum der richtige Ausdruck dafür sein.« Findhorns Stimme war kühl und sachlich.

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