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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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während er mit gesenktem Kopf Nicolson von unten her mißtrauisch musterte. Doch wenn Nicolson die Hand ausstreckte, um ihn anzufassen oder gar festzuhalten, drückte er sich ängstlich an Miss Drachmann, die auf der Ruderbank an Steuerbordseite saß, und hielt sich mit seiner kleinen schmierigen Hand in ihrem schimmernden schwarzen Haar fest, oft mit solcher Kraft, daß das Mädchen zusammenzuckte und unwillkürlich »Au« rief. Nach einer Weile drehte der Kleine dann den Kopf herum und betrachtete Nicolson ernst durch die gespreizten Finger seiner linken Hand. Das war ein Lieblingstrick von ihm, dieses Hervorspähen hinter den vorgehaltenen Fingern, und offenbar bildete er sich ein, selbst dadurch unsichtbar zu sein. Nicolson war so damit beschäftigt, dem Kleinen zuzusehen, daß er darüber für Augenblicke den Krieg, die Verwundeten und die so gut wie hoffnungslose Situation vergaß, in der sie sich alle befanden; doch jedesmal kehrte er danach in die bittere Gegenwart zurück, und das Gefühl der Verzweiflung, die Furcht, was mit dem Kind geschehen würde, wenn die Japaner sie schließlich erwischten, brannte noch heftiger in ihm als zuvor.
    Und die Japaner würden sie erwischen. Nicolson war sich von Anfang an darüber klar gewesen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel gehabt, und er wußte, daß sich Kapitän Findhorn gleichfalls darüber klar war, ungeachtet seines ermutigenden Geredes, daß sie Lepar ansteuern wollten, um von dort aus die Sunda-Straße zu erreichen. Die Japaner wußten bis auf Meilen genau, wo sie sich befanden, und konnten sie jederzeit, sobald sie nur wollten, finden und holen. Unbegreiflich war dabei einzig und allein, warum sie es nicht schon längst getan hatten. Nicolson fragte sich, ob sich die anderen dessen bewußt sein mochten, daß die Stunden der Freiheit und Sicherheit gezählt waren, daß die Japaner mit ihnen Katze und Maus spielten. Sollten sie sich darüber klar sein, so ließen sie sich äußerlich jedenfalls nichts davon anmerken. Sie waren in mehr als einer Beziehung ein hilfsloser und unbrauchbarer Haufen, eine erdrückende Last der Verantwortung für jeden, der sein Boot in den Hafen der Freiheit zu steuern hoffte. Doch das eine mußte Nicolson ihnen zugestehen: mit Ausnahme von Gordon und Alex Sinclair war ihre Haltung großartig.
    Alle hatten, ohne zu murren, schwer gearbeitet, um die Wolldecken und den gesamten Proviant möglichst ordentlich zu verstauen, hatten auf Kosten der eigenen Bequemlichkeit Platz gemacht für die Verwundeten – von denen, obwohl sie zweifellos heftige Schmerzen ausstanden, nicht ein Ton der Klage zu hören gewesen war –, hatten alle Anordnungen von Nicolson willig befolgt und mit heiterer Miene ihre unbequem eingeengten Plätze eingenommen. Die beiden Krankenschwestern, überraschenderweise und mit großem Geschick assistiert von Brigadier Farnholme, hatten sich fast zwei Stunden lang um die Verwundeten bemüht und ihre Sache wirklich gut gemacht. Noch nie hatte sich die behördliche Anordnung, daß jedes Rettungsboot eine wohlassortierte Sanitätskiste mit sich zu führen habe, in stärkerem Maße als berechtigt erwiesen, und selten konnte der Inhalt dieser Kiste nützlichere Dienste geleistet haben: Kreislaufmittel, Sulfonamid-Puder, Codein, Verbandstoff, Binden, Gaze, Watte, Brandsalbe – alles war da, und alles wurde gebraucht. Ein chirurgisches Besteck hatte Miss Drachmann bei sich, und McKinnon hatte mit dem zur Ausrüstung des Rettungsbootes gehörenden Beil und seinem eigenen Taschenmesser innerhalb von zehn Minuten aus den Bodenbrettern Schienen für Korporal Frasers zerschmetterten Arm hergestellt, die ihren Zweck vollkommen erfüllten.
    Und Miss Plenderleith war einfach grandios. Es gab kein anderes Wort dafür. Sie war geradezu genial in ihrer Fähigkeit, Situationen und Umstände auf ein beruhigendes Normalmaß zu reduzieren, und sie benahm sich so, daß man hätte denken können, sie habe ihr ganzes Leben in einem offenen Boot zugebracht. Sie nahm die Dinge, wie sie waren, machte aus allem das Beste, und ihre autoritative Fähigkeit, andere zu veranlassen, es ebenso zu machen, war mehr als ausreichend. Sie war es, die die Verwundeten in Decken einwickelte und ihnen Schwimmwesten als Kopfkissen unterlegte; wenn einer nicht parieren wollte, so zankte sie ihn aus wie ein unartiges, aufsässiges, kleines Kind – und bei keinem hatte Miss Plenderleith es nötig, ihn ein zweites Mal auszuschelten. Sie hatte die Leitung

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